„Infrastruktur ist kein Modethema, sondern ein säkulares Wachstumsthema“

Infrastruktur galt lange als sprödes Nischenthema. Heute steht die Assetklasse im Zentrum globaler Wachstums- und Transformationsprozesse. TiAM FundResearch sprach mit Oliver Schneider, Chef der Portfolio Advisor für die Regionen EMEA, APAC & LatAm, bei Wellington Management, über Chancen, Risiken und die Rolle von Digitalisierung, Energie und Künstlicher Intelligenz.

19.11.2025 | 11:00 Uhr von «Jörn Kränicke»

TiAM FundResearch: Herr Schneider, Infrastrukturinvestments sind eine Assetklasse, die immer populärer wird. Was macht diesen Sektor gerade so spannend?

Oliver Schneider: Wir haben die ‚graue Maus‘-Phase der Infrastruktur hinter uns gelassen. Heute sprechen wir über einen klaren säkularen Wachstumstrend, der die nächsten zehn bis 20 Jahre anhalten wird. Das ist kein kurzfristiges Modethema, sondern eine strukturelle Entwicklung, die global unterstützt wird – politisch, regulatorisch und wirtschaftlich. Liquide Infrastruktur bietet Investoren stabile Cashflows, eine hohe Vorhersagbarkeit über fünf bis sieben Jahre und durch Regulierung oft auch einen eingebauten Inflationsschutz. Man denke nur an das hunderte Milliarden schwere Infrastrukturpaket der Bunderegierung, das in den kommenden Jahren die marode Infrastruktur wieder auf Vordermann bringen soll.

Aber Infrastruktur hat doch viel mit zyklischer Bauwirtschaft zu tun. Wie passt das zusammen?

Schneider: Es kommt dabei auf die Herangehensweise an. Mit klassischem Hoch- oder Tiefbau lässt sich an der Börse wenig stabiles Wachstum generieren. Bauunternehmen haben meist hohe Verschuldung und schwache Bilanzen. Spannender sind Betreiber von Infrastruktur – also Unternehmen, die langfristig stabile Einnahmen erzielen, etwa durch Mautsysteme, Pipelines oder Energieversorgung. Genau dort investieren wir und nicht in Bauunternehmen.

Was spricht gerade aktuell etwa für die Energieversorgung?

Schneider: Ein wesentlicher Treiber ist der Stromsektor. Viele Stromnetze stammen aus den 60er- und 70er-Jahren und müssen modernisiert werden. Gleichzeitig steigt der Strombedarf rasant – nicht zuletzt durch Technologien wie Künstliche Intelligenz. Unternehmen wie Alphabet, Microsoft oder Amazon brauchen enorme Mengen Energie. Hinzu kommt die Dekarbonisierung. Erneuerbare Energien allein reichen nicht, deshalb spielen auch Versorger eine zentrale Rolle. Sie wandeln sich gerade zu „grüneren“ Unternehmen.

Bedeutet das, dass Versorgeraktien derzeit attraktiver sind als klassische „Pure-Play“-Erneuerbare-Energien-Unternehmen?

Schneider: In der Tat. Erneuerbare Energien sind sehr volatil, die Quartalszahlen etwa von Offshore-Windparkbetreibern schwanken stark. Deshalb bevorzugen wir aktuell eher Versorger wie E.ON. Dort sehen wir stabilere Cashflows und weniger politisches Risiko.

Warum sind Öl- und Rohstoffproduzenten in Ihrem Portfolio nicht vertreten?

Schneider: Weil die Preise hier kaum planbar sind. Sie können den Ölpreis weder für die nächsten drei Monate noch für die nächsten fünf Jahre seriös prognostizieren. Für uns ist entscheidend, Cashflows mit hoher Visibilität zu haben. Deshalb investieren wir nicht in Ölproduzenten, sondern zum Beispiel in Pipelines. Diese profitieren davon, dass Amerika Flüssiggas exportieren will – unabhängig vom schwankenden Gaspreis.

Bedeutet das, Rohstoffe spielen gar keine Rolle?

Schneider: Wer Rohstoffthemen wie Kupfer, Lithium oder Wasserstoff investieren will, sollte das über separate Strategien tun. Denn dies geht über den klassischen Infrastrukturbegriff hinaus. Unser Ziel im Infrastruktursegment ist Stabilität – nicht Volatilität.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für Infrastruktur-Investments?

Schneider: Eine sehr große. KI durchdringt alle Industrien: vom Rüstungssektor über Automatisierung bis zur Schifffahrt. Auch im Infrastrukturbereich gibt es Schnittstellen – denken Sie an digitale Stromnetze oder die Steuerung von Transport- und Kommunikationssystemen. In Asien zum Beispiel sind 5G-Netze schon viel flächendeckender als in Europa. KI wird damit auch ein Infrastrukturschub.

Wie sieht die Lage speziell in Deutschland aus?

Schneider: Deutschland steht vor einer doppelten Herausforderung: Wir wollen mehr Industrie ansiedeln, gleichzeitig brauchen Unternehmen absolute Versorgungssicherheit bei Strom. Eine Gigafabrik für Halbleiter verbraucht so viel Energie wie eine Großstadt – das muss gewährleistet werden. Nur mit erneuerbaren Energien ist das schwer zu stemmen. Deshalb brauchen wir einen ausgewogenen Energiemix. E.ON beispielsweise ist hier sehr gut aufgestellt, hat weitsichtige Managements und investieren stark in Netzinfrastruktur.

Wie bewerten Sie Themen wie Kernenergie und Wasserstoff?

Schneider: Wir beobachten sie nüchtern. Kernenergie ist in Deutschland hoch emotional besetzt, international aber eher sachlich. Wir haben indirekt Exposure dazu. Wasserstoff oder Small Modular Reactors sind interessante Konzepte, aber noch nicht investierbar aus unserer Sicht. Uns fehlen verlässliche Cashflows und klare politische Rahmenbedingungen.

Welche Rolle spielt Politik für Ihre Investmententscheidungen?

Schneider: Eine sehr große. Politische Risiken beeinflussen Bewertungen enorm – sowohl in den USA als auch in China oder Europa. Denken Sie an Trumps Kritik an erneuerbaren Energien. Oder an die unterschiedlichen regulatorischen Umfelder: Spanien ist oft restriktiv, Florida hingegen sehr unternehmensfreundlich. Solche Faktoren fließen in unsere Bewertungsmodelle ein. Wir streben stets Investitionen mit einem langfristigen Anlagehorizont an.

Wie sieht Ihr Investment-Universum konkret aus?

Schneider: Global beobachten wir rund 800 Titel. Davon schauen wir uns 300 genauer an, und am Ende landen 30 bis 40 Aktien in unserem Portfolio. Uns ist wichtig, ein High-Conviction-Portfolio zu haben, also nur die Unternehmen, von denen wir wirklich überzeugt sind. Die durchschnittliche Haltedauer liegt bei vier Jahren – unsere Umschlagshäufigkeit ist also gering, was zur Stabilität des Fonds beiträgt.

Infrastruktur gilt als klassisches „Value-Investment“. Stimmen Sie dem zu?

Schneider: Wir sehen das anders. Natürlich sind viele Assets stabil und cashflow-orientiert. Aber uns ist wichtig, dass Unternehmen auch Wachstumsfelder erschließen. Wir investieren nicht nur wegen hoher Dividenden, sondern wollen wissen: Wo wird reinvestiert? Wo entstehen neue Geschäftsfelder? Unser Ansatz ist eher wachstumsorientiert.

Wie schlagen Sie sich dann im Vergleich zu Tech-Werten?

Schneider: Wachstumswerte haben in den letzten zehn Jahren, gerade durch die „Magnificent Seven“, klar dominiert. Mit Infrastruktur-Aktien holen Sie diese Performance nicht eins zu eins auf. Aber: Infrastruktur federt Marktschwankungen ab. Wir nehmen im Schnitt nur rund 70 Prozent der Rückgänge mit, wenn die Märkte fallen. Und in Bullenmärkten haben wir den Vorteil stabiler Erträge und geringer Korrelation. Das macht Infrastruktur zum Rückgrat im Portfolio.

Infrastruktur ist weit mehr als Energie. Welche anderen Segmente sehen Sie als attraktiv an?

Schneider: Spannend sind Transport-Assets wie Autobahnen, Schienen oder Flughäfen – beispielsweise Vinci in Frankreich. Auch Dateninfrastruktur und Rechenzentren stehen ganz oben, da die Digitalisierung und KI enorme Kapazitäten verlangen. Aber hier gilt: Nicht jedes Asset ist gleich attraktiv. Flughäfen etwa unterscheiden sich massiv je nach Regulierung, Verschuldung oder Wachstumsperspektiven.

Wie positionieren Sie sich im Spannungsfeld liquide versus illiquide Infrastruktur?

Schneider: Im Kern investieren wir in dieselben Assets wie große Private-Equity-Häuser – Versorger, Rechenzentren, Netze. Der Unterschied: Wir können im liquiden Bereich schneller reagieren, Positionen auf- und abbauen. Zudem profitieren wir, wenn börsennotierte Unternehmen Teile an Private Equity verkaufen. Solche Deals haben unserem Portfolio zuletzt mehrfach Rückenwind gegeben.

China spielt eine immer größere Rolle in der Welt. Wie gehen Sie mit Emerging Markets um?

Schneider: Sehr selektiv. China Longyuan Power Group, ein großer Erneuerbare-Energien-Anbieter, war eine Position, aus der wir vor einiger Zeit aufgrund des erhöhten politischen Risikos ausgestiegen sind. In anderen Ländern wie Südkorea, Japan oder Brasilien sehen wir dagegen spannende Chancen – etwa im Wassersektor. Emerging Markets bleiben volatil, können aber im Laufe der Zeit durchaus attraktive Renditen liefern.

Wie reagieren institutionelle Investoren auf das Thema Infrastruktur?

Schneider: Das Interesse ist enorm gestiegen. Family Offices haben vor 18 bis 24 Monaten damit begonnen, sich stärker für Infrastruktur zu interessieren – als Antwort auf die Unsicherheit an den Aktienmärkten. Heute sehen wir auch großes Interesse bei Banken, die ihre Kunden auf diese stabilen Ertragsquellen hinweisen. Wir haben deshalb sogar den Fondsnamen mit dem Wort Infrastruktur ergänzt, um das Thema „Infrastruktur“ für Endkunden sichtbarer und Anlagestrategie sowie Positionierung des Fonds deutlicher zu machen

Was wird die Infrastruktur-Investments der kommenden Jahre prägen?

Schneider: Ganz klar die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Rechenzentren werden ein Schlüsselthema – und damit die Stromversorgung. Jede ChatGPT-Abfrage verbraucht etwa zehnmal mehr Energie als eine Google-Suche. Das zeigt: Infrastruktur ist die Basis des technologischen Fortschritts. Wer hier investiert, muss langfristig denken – und sehr genau hinschauen, welche Unternehmen nachhaltig und wachstumsfähig aufgestellt sind. Genau das setzen wir im Wellington Enduring Infrastructure Assets Fund seit Jahren erfolgreich um.

Zur Person

Oliver Schneider, mit Sitz in Zürich, ist derzeit Head Portfolio Advisors EMEA, APAC und LatAm sowie Managing Director bei Wellington Management. Er verfügt über Erfahrung aus früheren Positionen bei Julius Bär, ifsam – International Fund Services & Asset Management S.A. und Union Investment. Oliver Schneider hat ein Diplom als Volkswirt in Volkswirtschaftslehre.

Diesen Beitrag teilen: