Jens Ehrhardt: „Die meisten Börsenprognosen sind zu negativ“
Eine Zeitenwende gibt es auch an den Börsen. Davon ist Jens Ehrhardt, der Altmeister unter den deutschen Geldprofis, überzeugt. Warum man bei Aktien heute höhere Bewertungen akzeptieren muss, erklärt der Chef der Vermögensverwaltung DJE im Interview.19.12.2025 | 09:00 Uhr von «Tobias Aigner»
TiAM FundResearch: Herr Ehrhardt, Sie sind eigentlich Monetarist und achten bei der Börsenanalyse besonders auf die Geldpolitik der Notenbanken. Ist heute die Geopolitik für die Marktanalyse nicht viel wichtiger?
Jens Ehrhardt: Ich habe in rund 60 Jahren Börsenerfahrung noch nie so starke geopolitische Turbulenzen erlebt wie heute. Der Kursrückschlag an den US-Börsen um 20 Prozent im April 2025 wurde tatsächlich im Wesentlichen durch Trump ausgelöst. So einen starken Kursrutsch wegen der Politik gab es vorher nur 1962, in der Kubakrise. Also ja, der Spruch „Politische Börsen haben kurze Beine“ hat zurzeit ausgedient. Die Politik wird auch 2026 die Richtung an den Börsen mitbestimmen…
…zum Beispiel wenn Donald Trump den neuen Fed-Chef benennt, der Mitte Mai auf Jerome Powell folgen soll. Gerüchten zufolge hat sich Trump auf Kevin Hassett festgelegt, seinen obersten Wirtschaftsberater, der als Verfechter von Zinssenkungen gilt. Wird Trump so einen gefügigen Fed-Chef einsetzen?
Auf jeden Fall wird Trump einen Fed-Präsidenten installieren, der für eine expansivere Geldpolitik steht. Auch weil er den Aktienmarkt stützen will. Ein echter Kurssturz an der Wall Street wäre ja fatal für ihn, weil dann der US-Konsum einbricht und eine Rezession droht. Trump wird alles daran setzen, das zu verhindern. Und da passt eine Taube an der Fed-Spitze ins Bild.
Und die hohe Inflation, die deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel liegt? Kann die Fed das ignorieren?
Wir beobachten ja schon seit Jahren den Trend, dass die Notenbanken nicht wie früher die Inflationsbekämpfung in den Vordergrund stellen, sondern im Zweifel geldpolitisch eher Gas geben. Das sorgt bei Sachwerten wie Aktien auf jeden Fall für Rückenwind und bei Nominalwerten wie Anleihen eher für Gegenwind.
Läuft die Aktienrally wirklich einfach munter weiter? Es gibt ja immer mehr Pessimisten, die bei KI-Werten eine Kursblase wie im Jahr 2000 sehen und einen Crash vorhersagen.
Es gibt natürlich Parallelen zum Jahr 2000. Die Aktienbewertungen sind sehr hoch. Und es gibt gewaltige Investitionen in künstliche Intelligenz, bei denen man nicht weiß, ob sie sich jemals in Gewinne verwandeln. Doch am Ende wird die KI wohl doch positiv überraschen, und die Investitionen werden weiterlaufen. Deshalb wird auch die Blase noch nicht platzen.
Die Erwartungen an die KI-Werte sind allerdings ebenfalls in luftige Höhen gestiegen. Droht da nicht schon bei der kleinsten Enttäuschung ein Einbruch?
Ja, das könnte tatsächlich einen Rückschlag auslösen, vielleicht im Frühjahr 2026. Eine jahrelange Baisse sehe ich trotzdem nicht. Die Unternehmen investieren heute aus einem üppigen Cash-Flow und haben sich nicht wie 2000 halsbrecherisch verschuldet.
Und die hohen Bewertungen stören Sie nicht?
Da haben sich die Zeiten wirklich geändert. Zu Bundesbankzeiten hätten wir uns aus Aktien auf diesem Bewertungsniveau zurückgezogen, aber heute nicht mehr. Der Rückenwind für die Börsen kommt von der hohen Staatsverschuldung und der Geldpolitik der Notenbanken. Sie sorgen dafür, dass Sachwerte gegenüber Geldwerten immer attraktiver werden, auch wenn sie schon hoch bewertet sind. Die meisten Börsenprognosen übersehen das und sind deshalb zu negativ.
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