Expertenanalyse: „Aktienmärkte sind im Aufwind“
Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, stellt TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.12.08.2022 | 12:15 Uhr von «Peter Gewalt»
So
kommentiert Oliver Blackbourn, Portfolio Manager bei Janus Henderson Investors“ die aktuellen Zahlen
des US-amerikanischen Verbraucherpreisindex:
„Die Inflation in den USA fiel
niedriger aus als erwartet, was die Märkte, die in letzter Zeit durch die restriktive
Haltung der US-Notenbank erschüttert wurden, ermutigt. Niedrigere Energie-
und Kerngüterpreise glichen den Anstieg der Kosten für Nahrungsmittel und
Dienstleistungen aus. Der Wert von 8,5 Prozent lag deutlich unter dem Wert von
9,1 Prozent für Juni und vor allem 0,2 Prozent unter den Konsenserwartungen.
Für die Beobachter der Fed ist es entscheidend, dass die Kerninflation nicht
wie vorhergesagt gestiegen ist. Nach der Veröffentlichung der mit Spannung
erwarteten Arbeitsmarktdaten am Freitag, nutzten die Märkte die unter den
Erwartungen liegenden Inflationsdaten sofort für eine weitere Rallye.
Die Märkte werden die öffentlichen Äußerungen der Fed abwarten müssen, um zu sehen, wie sie den unerwartet starken Rückgang der Inflation einordnen. Die Märkte sind beruhigt, dass es klare Anzeichen dafür gibt, dass die Inflation im Laufe des Sommers ihren Höhepunkt erreicht. Die Fed wird sich jedoch zweifellos auf die Anzeichen für die Kerninflation konzentrieren, insbesondere angesichts eines sehr angespannt wirkenden Arbeitsmarktes. Der fortgesetzte Anstieg der Dienstleistungskosten wird sie vielleicht weniger beruhigen als der Rückgang der Güterpreisinflation die Anleger.“
Tiffany Wilding,
Ökonomin für Nordamerika, und Allison Boxer, Volkswirtin, PIMCO kommen beim
Blick auf US-Inflationsdaten zum Ergebnis, dass sich Tiefe und Breite
des Inflationsdrucks beschleunigt hat.
„Wie erwartet haben sich sowohl die
Gesamtinflation als auch die Kerninflation im Juli abgeschwächt. Beide lagen
unter dem Konsens, aber im Einklang mit unserer Prognose. Die Details des
Berichts waren jedoch stärker, als es die Abweichung der Gesamtinflation von der
Konsensschätzung vermuten lässt. Unter der Annahme, dass die Preise für
Nahrungsmittel und Energierohstoffe ihre jüngste Abschwächung beibehalten,
dürfte der Juni den Höhepunkt der jährlichen Gesamtinflationsrate
markieren. Die Jahresrate der Kerninflation wird sich jedoch wahrscheinlich im
August wieder beschleunigen und ihren Höhepunkt erst im September erreichen.
Die Kategorien, die für die Schwäche der Kerninflation im Juli verantwortlich
waren - Flugpreise und Hotels - sind in der Regel schwankungsanfälliger,
während die stabileren Komponenten (Mieten/Wohnkosten) unverändert blieben. Der
heutige Bericht änderte nichts an unserer Prognose für die Kerninflation von
5,5 Prozent bzw. 3,5 Prozent im Jahresvergleich für 2022 bzw. 2023 - und
auch nicht an unserem kurzfristigen Ausblick für die Federal Reserve (Fed).
Was die Fed betrifft, so ist dieser Bericht zweifellos eine willkommene Erleichterung. Wir halten die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed im September weitere 75 Basispunkte anheben wird, nach wie vor für relativ hoch. Die kurzfristigen Inflationserwartungen haben sich zusammen mit den Lebensmittel- und Energiepreisen abgeschwächt. Trotz der heute veröffentlichten Daten sind wir jedoch der Ansicht, dass die Fed weiterhin über den zugrundeliegenden Inflationstrend, der sich wieder nach oben verschoben zu haben scheint, besorgt sein wird. Die Kerninflationsindikatoren (z. B. Cleveland Fed Trimmed Mean, New York Fed Underlying Inflation Gauge, Atlanta Fed Sticky Price Measure), die bessere Indikatoren für die künftige Inflation sind, haben sich alle beschleunigt. Die Tiefe und Breite des Inflationsdrucks bei den einzelnen Posten, aus denen sich der Warenkorb des Verbraucherpreisindex zusammensetzt, hat sich dabei beschleunigt. Noch beunruhigender ist, dass die Dynamik der Lohninflation nicht viel anders ist. Die Lohninflation hat sich auch von den Dienstleistungssektoren mit niedrigen Löhnen und geringen Qualifikationen auf eine Reihe von Branchen, Berufen und Qualifikationsniveaus ausgeweitet. Der Atlanta Fed Lohn-Tracker (Atlanta Fed wage tracker), der nicht unter Verzerrungen aufgrund von Verschiebungen in der Zusammensetzung leidet, ist schnell angestiegen - ein Verhalten, das einer nicht linearen Phillipskurve und/oder einer Beschleunigung der Inflationserwartungen ähnelt. Darüber hinaus ist dies trotz einer Produktivitätsrezession geschehen, was bedeutet, dass die Lohnstückkosten erheblich gestiegen sind - etwas, das die Unternehmen durch steigende Preise ausgleichen wollen, um ihre Gewinnspannen zu erhalten. Die Lohnstückkosteninflation scheint im Jahresdurchschnitt um sieben Prozent zu steigen. In der Vergangenheit implizierte dies eine Verbraucherpreisindex-Kerninflation von eher vier Prozent.“
Lewis Grant, Leiter des
Bereichs Global Equities bei Federated Hermes Limited sieht die Aktienmärkte wieder
in besserer Verfassung:
„Die Aktienmärkte sind
nach den abgekühlten Inflationsdaten aus den USA im Aufwind. Alle
Befürchtungen, dass die Juli-Rallye abflauen könnte, wurden ausgeräumt. Der
August könnte dennoch ein schwieriger Monat für die Aktienmärkte sein, denn er
ist von geringer Liquidität und erhöhter Krisenanfälligkeit gekennzeichnet. Aber
die großen Indizes verfügen jetzt über Schwung und die technischen Aussichten
sind günstig. Trotz der unveränderten Rhetorik der Fed hat diese
Veröffentlichung den Anlegern Hoffnung bereitet, dass sich das Tempo der
Zinserhöhungen in den USA verlangsamen wird und dass die prophezeite weiche
Landung möglicherweise doch nicht so illusorisch ist wie befürchtet.
Die globalen Märkte reagierten zwar positiv auf diese Nachricht, doch bleibt die Inflation auf allen Märkten eine große soziale Herausforderung. Millionen Menschen auf der ganzen Welt stehen schwierige Zeiten bevor, unabhängig davon, ob die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat oder nicht. Das Vereinigte Königreich und Europa haben ihre eigenen Herausforderungen, welche die Inflation verschärfen und das Wachstum weiter dämpfen werden: Hier bleibt das Bild düster.
Die Befürchtungen eines militärischen Konflikts um Taiwan sind wahrscheinlich noch zu früh, doch dieser jüngste Krisenherd erinnert uns daran, dass die Spannungen mit China schnell zu einem Wirtschaftskrieg führen können. Für den Westen wird es schwierig (sprich: teuer) sein, sowohl das Nachfragewachstum als auch die kostengünstige Produktion auf dem chinesischen Markt aufzugeben.
Kurzfristig ist das Bild jedoch rosig und die Märkte erholen sich. Und als wollten sie die kurzfristigen Aussichten vieler Anleger bekräftigen, sind die so genannten Meme-Aktien wieder in den Schlagzeilen. Als ob der Markt nicht schon volatil genug wäre."
Die Gefahr einer weltweiten Rezession sieht Jeremy
Lawson, Chief Economist, abrdn Research Institute: „Strenge Lockdowns in Schanghai verursachten im
letzten Quartal einen starken, wenn auch kurzzeitigen Rückgang des chinesischen
Bruttoinlandsprodukts. Die westlichen Sanktionen gegen Russland haben dort und
in der Ukraine zu einer tiefen Rezession geführt.“ Der Krieg berge auch durch
seine Auswirkungen auf die Rohstoffpreise Rezessionsrisiken. „Aufgrund
der russischen Exportbeschränkungen steigen die Erdgaspreise wieder stark an.
Am problematischsten ist dies für die Eurozone, in der eine schrumpfende
Wirtschaftstätigkeit nun unvermeidlich scheint.“
Den größten Einfluss auf ein globales Rezessionsrisiko habe die weltweite Straffung der Geldpolitik. „Wir gehen davon aus, dass die Zinssätze in den USA bis Mitte 2023 weiter stark ansteigen und einen Höchststand von fast 3,5 Prozent erreichen werden, bevor Rezessionen den Zinssenkungszyklus erzwingen“, sagt Lawson. Zwar sei eine weiche Landung laut dem Investmentexperten möglich, doch es gebe nur wenige historische Beispiele, bei denen Ungleichgewichte in der heutigen Größenordnung ohne eine Rezession abgebaut wurden. „Das Jahr 2023 ist der wahrscheinlichste Zeitpunkt für eine globale Rezession. Ein früherer Zeitpunkt wäre allerdings nicht überraschend.“
Die Rezession wird Lawson zufolge am deutlichsten in den entwickelten Ländern zu spüren sein, da die Inflation den Lebensstandard belastet, eine lockere Geldpolitik eingedämmt werden muss und die Verflechtungen mit dem US-amerikanischen Wirtschafts- und Finanzzyklus dort am stärksten sind. Doch der Investmentexperte erwartet – mit Ausnahme Chinas –auch eine deutliche Abschwächung in den Schwellenländern: „Eine Volkswirtschaft wie Mexiko wird wahrscheinlich von starken Spillover-Effekten betroffen sein, während China aufgrund seiner Fähigkeit, eine antizyklische Politik zu betreiben, sich davon eher abgrenzen kann. Wir gehen sogar davon aus, dass China eines der wenigen Länder sein wird, in denen sich das Wachstum im weiteren Jahresverlauf verbessert.” Eine systemische Krise in den Schwellenländern sei dennoch unwahrscheinlich, da schwere wirtschaftliche und finanzielle Ungleichgewichte die Ausnahme und nicht die Regel seien.
Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Matteo Germano,
Deputy Group CIO Amundi mahnt weiter zur Vorsicht:
Die erste Sequenz des doppelten Bärenmarktes (bei Aktien und
langfristigen Anleihen), mit der Anpassung an das Ende der lockeren Geldpolitik
und die steigende Inflation, ist aus unserer Sicht fast abgeschlossen. Jetzt
hat sich das Narrativ geändert, und es steht nach unserer Auffassung eher die
Verlangsamung des Wachstums im Fokus als die Angst vor Inflation. Drei wichtige
Themen sollte man nach unserer Auffassung beobachten:
1. Geringeres
Wachstum, hohe Inflation
Die
entwickelten Märkte befinden sich offenbar in einem Stagflationsszenario mit
Divergenzen und möglichen Auswirkungen der Gasrationierung auf das europäische
BIP-Wachstum.
2. Möglicherweise
sinkende Gewinnerwartungen
Die derzeitigen Marktpreise erscheinen immer noch kohärent mit einer Rückkehr
zu einem normalen Inflationsregime und preisen eine Gewinnrezession anscheinend
nicht vollständig ein. In einer „Kapitulationsphase“ sollten die Märkte mit dem
Schlimmsten rechnen, entweder mit einem stärkeren Gewinnrückgang oder
niedrigeren Preisen, oder beidem, aber wir sind nicht der Auffassung, dass wir
schon so weit sind.
3. Dollar-Rallye:
Spielraum für eine Fortsetzung
Da sich an der Haltung der US-Notenbank Fed vermutlich nichts ändert, sehen wir
Abwärtsrisiken für unsere EUR/USD-Ziele zum Jahresende, wobei ein mögliches
Abwärtsniveau bei 0,94 liegt, während das Sechsmonatsziel bei der Parität
bleibt. Eine Rezession bzw. eine höhere Rezessionswahrscheinlichkeit wäre
positiv für den US-Dollar, solange die Fed ihre restriktive Haltung beibehält.
Vor diesem Hintergrund sollten Anleger aus unserer Sicht vorsichtig sein und sich auf den Inflationsschutz konzentrieren.
Aus einem übergreifenden Blickwinkel sprechen die höhere Unsicherheit und die zunehmenden wirtschaftlichen Abwärtsrisiken für eine relative Bevorzugung von Anleihen gegenüber Aktien nach den Kurskorrekturen im Jahr 2022. Die wirtschaftliche Dynamik hat sich offenbar nicht erholt, und die Risikostimmung ist nach wie vor negativ, was auf eine mögliche weitere Abwärtsbewegung der Märkte hindeutet. Für eine gewisse Zeit könnten Anleihen als sicherer Hafen wieder attraktiv werden, doch muss man aus unserer Sicht bei Anleihenmärkten flexibel bleiben, da der Inflationsdruck irgendwann wieder auftauchen und die Volatilität hochhalten sollte. Wir plädieren weiterhin für eine stärkere Diversifizierung und die Berücksichtigung von alternativen Strategien sowie von Währungen und Rohstoffen.