Deutschland allein zu Hause

TiAM FundResearch blickt auf die vergangene Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: Deutschland und das Ende der Globalisierung.

05.12.2022 | 07:30 Uhr von «Matthias von Arnim»

Rückblick auf die vergangene Woche

Schon vor dem Spiel unserer Fußballnationalmannschaft gegen die Auswahl Costa Ricas ging in den sozialen Netzwerken folgender Spruch um: „Auf wen trifft die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale? Auf das Flughafenpersonal.“ Tja. Das Spiel ist aus. Wieder einmal war der Anspruch höher als die Wirklichkeit einlösen konnte. Wir waren mal Weltmeister. Aber darauf kann man sich leider nicht ausruhen. Andere haben sich weiterentwickelt und sind besser geworden. Wir verharren immer noch auf Jogi-Löw-Niveau. Das war mal top. Ist aber heute eben nicht mehr ausreichend gut.

Parallelitäten sind allenthalben zu beobachten. Deutschland war mal Exportweltmeister, profitierte von der Globalisierung, hatte ein hervorragendes internationales Standing und baute die besten Autos der Welt. Unser Geschäftsmodell steht jetzt auf dem Prüfstand.

Die Globalisierung löst sich gerade in ihre Bestandteile auf. Erst kürzlich scheinen die Europäer bemerkt zu haben, dass die USA mit ihrem Anfang des Jahres beschlossenen Inflation Reduction Act nicht ihre Inflation, sondern die ausländische Konkurrenz bekämpfen. Emmanuel Macron sprach deshalb in der vergangenen Woche bei US-Präsident Joe Biden vor und erreichte – nichts. Joe Biden ist netter als Donald Trump. Aber nur im Ton. Nicht in der Sache. Wir sind den US-Amerikanern mindestens egal und im Zweifelsfall als Konkurrenten lästig. Für die Exportnation Deutschland ist das keine gute Nachricht. Auch der Handel mit China ist keine Erfolgsgeschichte mehr. Das Außenhandelsdefizit gegenüber China betrug im vergangenen Jahr 39,4 Milliarden Euro und wird auch dieses Jahr wohl nicht niedriger ausfallen. 

Und im Nahen Osten? Dort werden wir nur noch als armselige Bittsteller mit Doppelmoral gesehen, die mit One-Love-Binde am Arm vor dem Emir um ein paar Tonnen Gas betteln. Immerhin finden die Scheichs Autos made in Germany noch gut. Aber wie lange noch? Spätestens im Jahr 2035 steigt Europa aus dem Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen aus. Die USA und China lassen sich damit noch etwas länger Zeit, bauen aber gleichzeitig konsequent ihre Kapazitäten im Bereich Batterieherstellung aus und sichern sich weltweit den Zugriff auf die dafür wichtigsten Rohstoffe. Europa steht in dieser Beziehung ziemlich nackt da. Deutschland sowieso. An Rohstoffen haben wir nur Kohle und Gas. Beides könnte dank moderner Technologien CO2-neutral gefördert und genutzt werden, erklärte in der vergangenen Woche Prof. Dr. Fritz Vahrenholt auf dem TiAM Fund Forum Hybrid. „Doch aus Kohle steigen wir freiwillig aus. Und das in Norddeutschland vorrätige Gas darf per Gesetz nicht gefördert werden. Dafür geht Robert Habeck auf internationale Einkaufstour. US-amerikanisches Fracking-Gas, LNG-Gas-Importe aus Katar und kolumbianische Kohle sind die teurere und dazu weniger klimafreundliche Alternative dazu“, so Vahrenholt. Aber so ist das nun mal, wenn hohe Ansprüche auf die Wirklichkeit treffen. Wir wollen eine weltweit führende, hochmoderne klimaneutrale Wirtschaftsnation sein. Dabei haben wir nicht einmal ausreichend viel Flughafenpersonal. Hoffentlich kommen unsere erfolglosen Fußball-Jungs wenigstens gut nach Hause.

Ausblick auf interessante Termine in dieser Woche

Am Dienstag kommt der Nikolaus und verteilt Geschenke. Derweil verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Prozess um den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds der EU. Das Paket soll den EU-Staaten helfen, nach der Pandemie wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Dafür wurden gemeinsam Schulden aufgenommen. Die Kläger halten das für unzulässig und meinen, der Bundestag hätte nicht zustimmen dürfen. Sollten die Richter einen Verfassungsverstoß sehen, wären sie verpflichtet, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzuschalten. Falls der EuGH den Klägern Recht gibt, hätte das weitreichende Folgen. Vielleicht müsste auch der Nikolaus seine Geschenke wieder einsammeln. Kaum auszudenken.

Am Mittwoch gibt Chinas Zollbehörde aktuelle Zahlen zur Entwicklung des chinesischen Außenhandels im November bekannt. Die Kommunistische Partei Chinas wird sich freuen, wenn mal wieder über etwas anderes geredet wird als über den Lockdown von mehr als 400 Millionen Menschen und die Proteste in mehr als 70 Städten.

Am Donnerstag beginnt in München der Prozess gegen den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun. Im größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs angeklagt. Laut Anklage sollen sie seit 2015 die Wirecard-Bilanzen gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben. 100 Verhandlungstage sind bis ins Jahr 2024 hinein anberaumt. Aufzuarbeiten gibt es reichlich. Geldwäsche, Betrug und Korruption allenthalben. Ein echter Krimi. Vielleicht will es das Schicksal ja, dass die Urteilsverkündung am Tag der Eröffnungsfeier der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland erfolgt. Das wäre irgendwie passend.

Am Freitag geht Schwedens größter Atomreaktor für anderthalb Wochen vom Netz. Wegen der Behebung eines kleineren Generatorenfehlers wird der Atomreaktor Oskarshamn 3 für voraussichtlich neun Tage vom Stromnetz abgekoppelt. Bereits im November war der Reaktor wegen Turbinenproblemen vorübergehend nicht in Betrieb gewesen. Wer denkt, das gehe nur Schweden etwas an, sollte mal die aktuelle Stromversorgungslage Europas studieren. Glücklich sind die Menschen, die in der aktuellen Vorweihnachtszeit ausreichend viele Kerzen gekauft haben.

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