Zwischen KI-Boom und Risiko: Wie stabil ist der Technologiesektor wirklich?
Renommierte Investoren wie Michael Burry, der durch seine Vorhersage der Subprime-Krise bekannt wurde, setzen auf einen Rückgang des Technologiesektors. Von Enguerrand Artaz, Fondsmanager bei LFDE18.11.2025 | 09:24 Uhr
Dazu kommen überraschende, ja sogar kontroverse Äußerungen mehrerer Tech-Chefs, allen voran von OpenAI und Nvidia, sowie das Wort „Blase”, das auf den Titelseiten der Finanzpresse zu lesen ist und von einem Fragezeichen begleitet wird. Zweifellos ist der Optimismus, der die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) in den letzten Monaten begleitet hat, ins Wanken geraten. Und wenn man sich vor dem Hintergrund bedeutender technologischer Innovationen Sorgen über eine mögliche Blase macht, kommt einem natürlich die Parallele zur Internetblase in den Sinn.
Bewertungen im Wandel der Zeit
Diese Analogie wird von einigen Marktteilnehmern regelmäßig zurückgewiesen. Sie erklären, dass die beiden Situationen sehr unterschiedlich sind und kommen zu dem Schluss, dass das aktuelle Umfeld nichts mit einer Blase zu tun hat. Die Realität scheint jedoch differenzierter zu sein. Eines der Hauptargumente lautet, dass die aktuellen Bewertungen viel nachhaltiger sind als im Jahr 2000, weniger irrational und auf soliden sowie profitablen Unternehmen basieren. Diese Begründung erscheint stichhaltig. Mit Ausnahme von Palantir, dessen Bewertung das 130-Fache der für die nächsten 24 Monate erwarteten Ergebnisse beträgt, weisen die Bewertungen im Technologiesektor zwar hohe Werte auf, sind jedoch nicht so übertrieben wie während der Internetblase oder der japanischen Blase von 1990. Zum Vergleich: Microsoft wird heute beispielsweisemit dem 30-Fachen der für ein Jahr erwarteten Gewinne gehandelt, während dieses Verhältnis 1999 noch bei über 60 lag.
Marktkonzentration als unterschätztes Risiko
Auch wenn die Bewertungen heute deutlich weniger absurd erscheinen, hat der Technologiesektor heute ein viel größeres Gewicht als im Jahr 2000: Damals machte die kumulierte Gewichtung der zehn größten Unternehmen des Dreifachsektors „Technologie, Medien und Telekommunikation” (TMT) nur 20 % des S&P 500 aus. Heute ist sie mit 39 % fast doppelt so hoch. Dies ist mit der sehr starken Konzentration der amerikanischen Aktienindizes vergleichbar: Die zehn größten Marktkapitalisierungen machen 42 % des S&P 500 aus, gegenüber 27 % im Jahr 1999. Fast alle dieser „Top 10” bestehen aus Technologiewerten. Wenn es also eine Blase auf den Märkten gibt, dann handelt es sich eher um eine Konzentrations- als um eine Bewertungsblase.
Veränderte Finanzierungswege im Technologiesektor
Ein weiteres Argument, das regelmäßig angeführt wird, um die Hypothese einer Blase zu widerlegen, ist die vergleichsweise geringe Zahl der Börsengänge, insbesondere im Vergleich zum Boom Ende der 1990er Jahre. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch eher um eine Veränderung der Finanzierungsart. Während der Internetblase waren Börsengänge das bevorzugte Mittel, um Kapital zu beschaffen – in diesem Fall auf den Aktienmärkten. Heute sind die bevorzugten Finanzierungsquellen andere und eher auf Fremdkapital ausgerichtet. An erster Stelle steht die vermehrte Emission von Anleihen. In den Vereinigten Staaten macht der Technologiesektor im Jahr 2025 ein Drittel des Investment-Grade-Primärmarktes aus[1] , gegenüber üblicherweise etwa 15 %. An zweiter Stelle steht die Nutzung nicht börsennotierter Märkte, sei es durch Kapitalbeschaffung oder die Inanspruchnahme von Privatkrediten. Die Plattform für Privataktien „Forge Global“ schätzt, dass die von 19 KI-Unternehmen beschafften Mittel drei Viertel des gesamten Kapitals ausmachten, das 2025 auf nicht börsennotierten Märkten beschafft wurde.
Ein eng vernetztes KI-Ökosystem und neue Abhängigkeiten
Schließlich gibt es die Finanzierung zwischen Unternehmen innerhalb des KI-Ökosystems selbst, insbesondere durch Nvidia. Das Unternehmen hat direkt in mehrere seiner Kunden, wie OpenAI, Nscale oder CoreWeave investiert, um ihnen den Kauf von Nvidia-Chips zu ermöglichen. Diese Praxis schürt die Befürchtung einer „Inzucht” bei Investitionen in KI. Erwähnenswert ist auch das Aufkommen von Finanztechniken, wie beispielsweise jener, die es Meta ermöglicht hat, rund 30 Milliarden Dollar Schulden aus seiner Bilanz zu streichen, indem diese in eine von Blue Owl Capital und Pimco finanzierte Zweckgesellschaft[2] ausgelagert wurden. Techniken, die den Pessimisten Anklänge an bestimmte Präzedenzfälle vor der Subprime-Krise suggerieren. Während das Jahr 2000 insbesondere eine Blase der börsennotierten Märkte und des Kapitals war, ähnelt die aktuelle Situation eher einer Blase der Schulden und der nicht börsennotierten Märkte.
Keine Wiederholung, aber mögliche Parallelen
Vergleiche hin oder her, das gilt in beide Richtungen. Vor dem Hintergrund einer besseren Rentabilität der Unternehmen und reichlich vorhandener Liquidität im Finanzsystem sind die aktuellen Bewertungen der Aktienmärkte zweifellos nur schwer mit denen der Internetblase zu vergleichen. Umgekehrt reicht das Fehlen größerer Irrationalität oder eines Booms bei Börsengängen jedoch nicht aus, um das Risiko einer Blase auszuschließen. Dies ist vor dem Hintergrund eines raschen Anstiegs der Verschuldung zu sehen, auch seitens der Gruppe mit den schwächsten Bilanzen im KI-Umfeld. Anleger sollten Mark Twains Satz im Hinterkopf behalten: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft.“
[1] Investment Grade entspricht den Ratings der Ratingagenturen zwischen AAA und BBB- gemäß der Skala von Standard & Poor’s. Sie entsprechen einem geringen Risiko.
[2] Special Purpose Vehicle: Rechtliche Struktur, die zur Durchführung einer bestimmten Investition geschaffen wurde und von den Investoren und dem Zielunternehmen getrennt ist.