Was spricht für Europa? Ein Plädoyer für europäische Aktien im Jahr 2025 und danach

Nach Einschätzung der Templeton Global Equity Group legt Europa derzeit den Grundstein für eine widerstandsfähigere und strategisch besser ausgerichtete Wirtschaft.

19.09.2025 | 07:07 Uhr

Das alte Narrativ ist hartnäckig

Eine der wichtigsten Erzählungen in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte ist der drastische Bedeutungsverlust Europas in der Weltwirtschaft. Von fehlenden Investitionen und technologischen Defiziten bis hin zu politischen und demografischen Herausforderungen haben verschiedene Faktoren dazu geführt, dass ein schwaches Wachstum in Europa mittlerweile als Normalzustand angesehen wird. Verschiedene Statistiken untermauern diese Einschätzung, nicht zuletzt der Anteil Europas am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Jahr 1980 entfielen auf Europa (einschließlich des Vereinigten Königreichs) rund 35 % des weltweiten BIP und auf die USA 25 %. Heute ist der Anteil der USA unverändert, während der von Europa auf 15 % geschrumpft ist – ein massiver Rückgang.

Dies hat den Eindruck erweckt, dass die europäischen Märkte eher durch eine lange Reihe verpasster Chancen als durch Dynamik gekennzeichnet sind. Noch bis vor kurzem hat diese Underperformance die Anlegerstimmung belastet. In der Zeit nach der globalen Finanzkrise schlitterte die Region von einer Krise in die nächste, was definitiv nicht hilfreich war – darunter eine Staatsschuldenkrise, der Brexit, schleppende Reformen und ein Energieschock nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Erst im Jahr 2020 erreichten viele europäische Indizes endlich wieder ihre Höchststände aus der Zeit vor 2008.

Durch diese Umstände haben institutionelle Anleger eine Art Muskelgedächtnis entwickelt, dem zufolge Europa chronisch rückständig, strukturell nicht investierbar oder bestenfalls eine taktische Allokation ist. Diese Einordnung entspricht jedoch immer weniger den tatsächlichen Gegebenheiten.

In diesem Artikel möchten wir aufzeigen, weshalb Anleger gut beraten wären, ihre Einschätzung zu überdenken. Die alte Vorstellung von einem unbeweglichen, krisenanfälligen Kontinent trifft nicht mehr zu: Unserer Ansicht nach hat eine neue Phase begonnen, die geprägt ist von verstärkter Widerstandsfähigkeit, Kapitalinvestitionen und einer führenden Rolle in verschiedenen Sektoren.
Und ausnahmsweise wird diese Geschichte nicht in einer Krisensituation geschrieben, sondern in
einer Phase des ruhigen, strukturellen Wandels.

Institutioneller Wachstumsschub in Europa

Viele der bedeutendsten Entwicklungen des Kontinents wurden aus der Not geboren; dies ist in der jüngeren europäischen Geschichte ein klares Muster. Der Euroraum selbst, die Bankenunion und die fiskalische Koordinierung während der Pandemie sind alle unter Druck entstanden. Nach dem fragwürdigen Rückzug der USA aus ihrer traditionellen globalen Führungsrolle steht Europa erneut vor einer Herausforderung, die eine koordinierte, proaktive Reaktion erfordert. Und dieses Mal gibt es erste Anzeichen dafür, dass es der Situation gewachsen ist.

Deutschlands Konjunkturmaßnahmen, allen voran ein 500 Mrd. Euro schweres Infrastrukturpaket, markieren eine Kehrtwende gegenüber der bisherigen vorsichtigen Haushaltspolitik Berlins. Diese „Fiskal-Bazooka“ ist so bedeutend, dass sie sich auf das BIP-Wachstum in ganz Europa auswirken könnte. Auch die Zusage der EU, in den nächsten zehn Jahren 1 Bio. Euro für Verteidigungszwecke bereitzustellen, stellt eine historische Veränderung dar und ist in ihrem Umfang mit den EU-Rettungsmaßnahmen während der Schuldenkrise Anfang der 2010er Jahre vergleichbar. Die Verpflichtung europäischer NATO-Mitgliedstaaten, ihre Rüstungsausgaben im weiteren Sinne auf 5 % des BIP anzuheben, dürfte ebenfalls Investitionen in Infrastruktur und Technologie fördern.

In einem vor einem Jahr veröffentlichten Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit weist der ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Draghi – recht eindringlich – darauf hin, dass Europa seine Produktivitätsstagnation und seine strategischen Schwachstellen strukturierter und koordinierter angehen muss. Draghi empfiehlt jährliche Investitionen in Höhe von bis zu 800 Mrd. Euro in den Bereichen Energie, Innovation und Infrastruktur. Zentrale Forderungen in dem Bericht – Vereinfachung der Regulierung, Integration der Kapitalmärkte und Koordinierung der Industriepolitik – signalisieren einen Wandel zu einem proaktiveren Wirtschaftsmodell, das über die Stärkung der Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit das langfristige BIP-Wachstum in der gesamten EU kräftig ankurbeln könnte.

Der Draghi-Bericht wurde am 9. September 2024 offiziell von der Europäischen Kommission veröffentlicht, und Draghi selbst stellte den Bericht im selben Monat dem Europäischen Parlament vor. Seitdem sind einige klare Veränderungen in der europäischen Politik zu erkennen, die in die von Draghi vorgeschlagene Richtung gehen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Verschlankung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Mit ihrem Omnibus-Paket 2025 hat die Europäische Kommission eine Neugestaltung der Nachhaltigkeitsvorschriften eingeleitet und damit direkt auf Draghis Bedenken hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit reagiert. Zu den wichtigsten Änderungen zählen die Verlängerung der Fristen im Rahmen der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und der Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD),
die Anhebung der Schwellenwerte zur Verringerung der Anzahl betroffener Unternehmen und die Vereinfachung der Offenlegungspflichten. Mit diesen Reformen sollen die Befolgungskosten um über 6 Mrd. Euro gesenkt werden. Dies verdeutlicht einen Wandel von regulatorischen Ambitionen hin zu einem wirtschaftlichen Pragmatismus, mit dem versucht wird, ein Gleichgewicht zwischen dem Gebot der Nachhaltigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Industriezweige herzustellen.

Maßnahmen für eine stärkere Integration im Verteidigungsbereich zeigen außerdem die Entschlossenheit der führenden PolitikerInnen Europas, bedeutende Reformen voranzutreiben. Das kürzlich veröffentlichte Weißbuch zur Verteidigung, das einen Rahmen für die Initiative „ReArm Europe“ schafft, markiert eine Wende hin zu einer besseren Koordinierung der militärischen Ressourcen – laut Draghi eine entscheidende Voraussetzung für die geopolitische Widerstandsfähigkeit Europas. Mit den für gemeinsame Investitionen vorgesehenen 800 Mrd. Euro und der neuen SAFE-Darlehensregelung zur Unterstützung der Verteidigungsausgaben in Mitgliedstaaten mit begrenzten Haushaltsmitteln unternimmt die EU Schritte
in Richtung strategischer Autonomie. Darüber hinaus werden vereinfachte Beschaffungs- und Zertifizierungsprozesse eingeführt, um die Fragmentierung des Verteidigungssektors zu verringern.

Der von Draghi vorgelegte Bericht könnte durchaus als Fahrplan für einen neuen Ansatz der Europäischen Kommission dienen und zu grundlegenden Veränderungen in der Wirtschaftspolitik
der EU führen. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass die führenden PolitikerInnen ihre bisherige Vorgehensweise überdenken und pragmatischer werden. Wenn die Umsetzung der vorliegenden Haushaltspläne zu einer spürbaren Belebung des BIP führt, ist unserer Ansicht nach mit einer nachhaltigen Erholung der Investitionsströme und der Aktienperformance in Europa zu rechnen.

Bereits heute steigt das prognostizierte BIP-Wachstum der EU, und nach den erfolgten Aufwärtskorrekturen liegt die Prognose nun am oberen Ende des 10-Jahres-Durchschnitts. Nach mehr
als einem Jahrzehnt der Underperformance zieht Europa allmählich mit den USA gleich – trotz der Zollunsicherheit und der politischen Fragmentierung. Die Aussichten für das europäische Wachstum in den nächsten fünf bis zehn Jahre erscheinen uns deutlich positiver als das Wachstum der vergangenen fünf bis zehn Jahre.

Laufendes Bewertungsgefälle

Trotz einer Rallye Anfang 2025 sind die Anleger nicht in nennenswertem Umfang wieder in europäische Aktien eingestiegen. Der MSCI Europe Index schnitt für den Zeitraum seit Jahresbeginn bis vor kurzem noch besser ab als der MSCI USA Index (in US-Dollar), doch ohne den Währungseffekt, d. h. in Euro, fielen die Renditen des europäischen Index eher bescheiden aus. Bezeichnenderweise ist der Aktienwert der zehn zu Beginn des Jahres größten europäischen Unternehmen (nach Marktkapitalisierung) um durchschnittlich 1 % gesunken. 1 Auf diese Titel entfallen mehr als 20 % der Marktkapitalisierung der Region. 2 Sollte derzeit eine große Umschichtung nach Europa stattfinden, so spiegelt sich dies noch nicht in den Zahlen wider.

Die Bewertungen unterstreichen diese Diskrepanz. Europäische Aktien sind weiterhin wesentlich günstiger als US-Aktien und notieren trotz der Verbesserung der Fundamentaldaten häufig deutlich unter ihren eigenen 10-Jahres-Durchschnittswerten. Es ist erstaunlich, wie wenig Optimismus in europäischen Aktien eingepreist ist. Sowohl regionale als auch internationale Marktführer – sei es im Luxus-, Gesundheits- oder Industriesektor – werden nach wie vor mit erheblichen Abschlägen auf ihren inneren Wert gehandelt. Wir sind überzeugt, dass sich daraus Chancen ergeben, insbesondere für selektive Anleger.

Dieses Bewertungsgefälle gewinnt an Bedeutung, wenn man die Zusammensetzung des Marktes berücksichtigt. Auf den US-Markt entfallen derzeit 65 % der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung. 3 Selbst eine geringe Umschichtung passiver Kapitalströme oder von Vermögensverwaltern könnte erhebliche Auswirkungen auf die europäischen Märkte haben, insbesondere wenn die Wachstumsdynamik die transatlantische Kluft weiter schließt.

Der europäische Markt bietet Anlegern unseres Erachtens derzeit die Möglichkeit, in verschiedenen Sektoren eine höhere Qualität zum gleichen Kurs oder die gleiche Qualität zu einem niedrigeren Kurs zu erwerben. Das Bewertungsgefälle hat sich im Jahr 2025 zwar verringert, ist jedoch noch nicht vollständig ausgeglichen. Europäische Aktien bleiben auch nach der Trendwende am Markt günstig – womit dies ein attraktiver Einstiegspunkt für Anleger ist, die den Blick über den Tellerrand hinaus richten.

Marktbreite und Chancenspektrum

Europa bietet jedoch nicht nur taktische Vorteile hinsichtlich der Markt- und Bewertungsdynamik im
Jahr 2025, sondern verfügt auch über ein breites und diversifiziertes Spektrum an Anlagemöglichkeiten, das einen Kontrast zum zunehmend konzentrierten US-Markt bildet. In den USA entfällt rund ein Viertel der gesamten Marktkapitalisierung auf lediglich vier Unternehmen: NVIDIA, Microsoft, Apple und Amazon. Im MSCI Europe Index braucht es 16 Unternehmen, um diesen Anteil an der Marktkapitalisierung zu erreichen, und nur ein Unternehmen weist eine Gewichtung von über 2,5 % auf.

Der europäische Markt umfasst eine Vielzahl von Sektoren und weltweit führende Unternehmen in Bereichen wie Halbleiter-Investitionsgüter, Pharmazeutika, Luxusgüter und Elektrifizierungstechnologien.

Noch wichtiger für die Region ist, dass ihr neuer Fokus auf strategische Widerstandsfähigkeit – erkennbar an den geplanten Investitionen in Energie, Rüstung und Infrastruktur – die heimische Industrie stärkt. Diese politischen Veränderungen führen zu einer Freisetzung von Investitionsmitteln und unterstützen langfristige Themen wie Dekarbonisierung und die Neugestaltung von Lieferketten.

Für Anleger, die sich nicht nur auf die Indexentwicklungen konzentrieren, bietet Europa unserer Ansicht nach ein umfangreiches und vielfältiges Aktienuniversum, in dem Fundamentaldaten eine wichtige Rolle spielen und aktive Anlageentscheidungen einen Unterschied machen können.

Europas Widerstandsfähigkeit und die weitere Entwicklung

Europa hat in der Vergangenheit immer wieder mit neuem Zusammenhalt und strategischen Investitionen auf Krisen reagiert. Das derzeitige Umfeld, das geprägt ist von geopolitischer Unsicherheit, sich verändernden Allianzen und wirtschaftlichen Problemen, scheint einmal mehr einen solchen Effekt zu haben. Die von Deutschland geplante Reform der Schuldenbremse und das mehrjährige Investitionspaket in Höhe von 500 Mrd. Euro signalisieren eine grundlegende Veränderung in der Haushaltspolitik. Diese Mittel sind nicht nur für Rüstungs- und Klimainitiativen vorgesehen, sondern auch für Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung – Bereiche mit einem starken wirtschaftlichen Multiplikatoreffekt und langfristigem Wachstumspotenzial.

Auf EU-Ebene werden derzeit koordinierte Anstrengungen unternommen, um Gelder in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro für die Bereiche Rüstung und saubere Energie aufzubringen. Diese umfangreichen Investitionen könnten, wenn sie effektiv umgesetzt werden, dem Wachstum und den Aktienmärkten in Europa starken Auftrieb verleihen.

Europa ist aus früheren Krisen häufig geeinter hervorgegangen. Aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage haben sich Frankreich und Deutschland wieder stärker angenähert, und auch Nicht-EU-Länder wie das Vereinigte Königreich und Norwegen arbeiten angesichts der gemeinsamen Risiken enger als bisher zusammen. Diese Annäherung könnte Fortschritte im Hinblick auf langwierige Entscheidungsprozesse und lähmende Vorschriften bedeuten – zwei altbekannte Hindernisse für die Wettbewerbsfähigkeit.

Die Folgen für Anleger liegen auf der Hand. Europa legt derzeit den Grundstein für eine widerstandsfähigere und strategisch besser ausgerichtete Wirtschaft. Sollte dieser Investitionszyklus anhalten, könnte er unserer Ansicht nach einen Wendepunkt für europäische Aktien markieren. Dies gilt insbesondere für binnenwirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen und Sektoren, die Verbindungen zu den Themen Infrastruktur, Rüstung und Energiewende aufweisen. Diese Chance ist nicht nur zyklischer, sondern auch struktureller Natur.


Fußnoten

  1. Quelle: FactSet. Stand: 31. August 2025.
  2. Quelle: FactSet. Stand: 31. August 2025.
  3. Quelle: Bloomberg. Stand: 31. August 2025.


WO LIEGEN DIE RISIKEN?

Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.

Wenn der Fonds in Unternehmen in bestimmten Ländern oder Regionen investiert, unterliegt er unter Umständen einer höheren Volatilität als ein geografisch breit diversifizierter Fonds.

Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden.

Internationale Anlagen sind mit besonderen Risiken verbunden. Hierzu gehören Währungsschwankungen sowie gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, die zu erhöhter Volatilität führen können. Diese Risiken sind in Schwellenländern noch größer. Anlagen in Unternehmen eines bestimmten Landes oder einer bestimmten Region können einer größeren Volatilität unterliegen als Anlagen, die geografisch breiter gestreut sind.

Unternehmen im Infrastruktursektor können einer Vielzahl von Faktoren ausgesetzt sein, darunter hohe Zinskosten, hohe Verschuldung, die Auswirkungen von Konjunkturabschwüngen, verschärfter Wettbewerb und die Auswirkungen staatlicher und regulatorischer Maßnahmen und Praktiken.

Die Risiken und die Volatilität bei Small-Cap- und Mid-Cap-Aktien sind größer als bei Large-Cap-Aktien.

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