US-Zinskurve: Vertrauensindikator in der Bewährungsprobe
| Titel der Publikation: | |
| Veröffentlichung: | 7/2025 |
| Autor: | |
| Auftraggeber: | TiAM FundResearch |
Trotz der Eskalation im Nahen Osten und wachsender geopolitischer Unsicherheit hat sich DAX erholt, und an der Wall Street kehren die Bullen zurück. Doch die tiefer liegenden Strukturen der Finanzmärkte senden ein anderes Signal – eine wachsende Nervosität unter der Oberfläche. Gleichzeitig eröffnen sich auch gezielt Chancen – für diejenigen, die umsichtig allokieren.
22.07.2025 | 14:15 Uhr
Ein Blick auf die US-Zinsstruktur zeigt: Das Vertrauen in fiskalische und politische Stabilität gerät zunehmend unter Druck. Während die US-Notenbank Fed an ihrer Zinspolitik vorerst festhält, steigen die Renditen langlaufender US-Staatsanleihen deutlich – zuletzt kletterte die 30-jährige Treasury-Rendite über die symbolträchtige 5-Prozent-Marke – ein Niveau, das, abgesehen von der Hochinflationsphase im Jahr 2023, zuletzt zum Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 zu beobachten war.
Ein solches Renditeniveau ist kein Ausdruck konjunktureller Stärke. Vielmehr preisen Investoren erhöhte Risikoaufschläge ein: für eine US-Politik ohne haushaltspolitischen Kompass, für geopolitische Volatilität und für eine US-Notenbank, die dem US-Präsidenten weiterhin die Stirn bietet, aber zunehmend unter Druck durch Donald Trump gerät. Kurzfristig mag der Markt gelassen wirken – langfristig spricht die Zinskurve eine andere Sprache.
Doch in dieser Situation eröffnet sich auch Raum für Potenzial: Die ungewöhnliche Steilheit der Kurve in bestimmten Segmenten sorgt aktuell für attraktive Roll-Down-Effekte, die bei richtiger Positionierung erheblich zur Gesamtrendite beitragen können.
Zwischen Renditehunger und geopolitischer Realität
Dass sich die Aktienmärkte derzeit hingegen stabil zeigen, ist vor allem taktisch getrieben. Viele Anleger nutzten die jüngsten Rückschläge nach dem Beginn des Krieges zwischen Israel und Iran als Einstieg – getrieben von Liquidität und dem Wunsch nach einem stabilen Renditeanstieg. Einerseits birgt dieser Reflex Risiken: Sollte der Konflikt im Nahen Osten eskalieren – etwa durch Angriffe auf die iranische Öl-Infrastruktur oder eine Sperrung der Straße von Hormus –, wäre mit einem starken Ölpreisschock zu rechnen. Die Folge: steigende Inflation, Druck auf die Zentralbanken und Rückschläge an den Aktienmärkten.
Andererseits zeigt sich in solchen
Phasen, wie wertvoll aktive Selektion ist und welchen wichtigen Einfluss
sie auf die Gesamtrendite hat: Wer in Qualitätstitel investiert und seine
Portfolios diszipliniert ausrichtet, kann gerade in volatilen Märkten
Stabilität erzeugen und Chancen nutzen.
Schuldenlast und Refinanzierung: Der nächste Stress-Test
Zu einer optimalen Allokation gehört es dabei auch, die Risiken auszubalancieren. Investoren sind gut beraten, die USA derzeit kritisch zu betrachten. Denn die Vereinigten Staaten stehen im kommenden Jahr vor einer historischen Refinanzierungswelle: 9,2 Billionen US-Dollar an Staatsanleihen laufen 2025 aus. Das Vertrauen der Investoren ist dabei der wichtigste Hebel – und zugleich der empfindlichste. Schon jetzt übersteigen die Zinsausgaben der US-Regierung die Militärausgaben. Weitere Schuldenprogramme, wie zuletzt von Präsident Trump angekündigt, verschärfen das Dilemma zusätzlich.
Grund zur Sorge machte auch der Internationale Währungsfonds (IWF) aus, nach dessen Schätzung bis 2030 die Schulden der weltweiten Nationen bei nahezu 100 Prozent des globalen Bruttoinlandproduktes (BIP) liegen werden. Die ausufernden Schulden, die in erheblichen Teilen den USA und China zuzurechnen sind, stellen nach Ansicht vieler Ökonomen eine Gefahr für die weltweite Finanzstabilität dar. Zur Finanzierung des klammen Haushaltes braucht es Investoren, die über ausreichende Mittel verfügen – und bereit sind, langfristig zu denken.
Internationale Kapitalgeber: Risiko trifft Realität
Besonders kritisch wird es, wenn die entscheidenden Gläubiger beginnen, ihre Risiken neu zu bewerten. Ein erheblicher Teil der US-Schulden liegt in ausländischer Hand – unter anderem bei Investoren in China, Japan und Europa. Diese Kapitalsammelstellen sind rational, aber nicht immun gegen politische Signale. Wenn geopolitische Eskalationen, währungspolitische Unsicherheiten und Haushaltsexzesse zusammenkommen, könnten diese Investoren ihre Engagements reduzieren – schleichend, aber spürbar.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich an den Devisenmärkten schon jetzt ein neues Muster: Während sich der Euro stabilisiert, gerät der Dollar zunehmend unter Druck. Das globale Vertrauen in die USA als sicherer Schuldner ist nicht verschwunden – aber es wird vorsichtiger abgewogen. Für international aufgestellte Anleger ergibt sich daraus die Chance, gezielter zu diversifizieren – sowohl währungsseitig als auch regional. (pg)
Zum Autor: Michael Hünseler ist Chief Investment Officer, LBBW Asset Management