Chancen durch Kurvensteilheit: Strategische Vorteile für Kapitalanleger am Rentenmarkt 2025
Von Jürgen Seitz, Senior Fund Manager und Director der LAIQON-Tochter MFI Asset Management GmbH.23.07.2025 | 07:18 Uhr
Bondinvestoren haben erneut Grund zur Freude. Nach der Rückkehr und dem Ausbau der positiven Renditen im Laufe des Jahres 2022 bieten die derzeitigen Zinsstrukturkurven zusätzliche Renditechancen. Die aktuelle Kurvensteilheit (also der Unterschied zwischen kurz- und langfristigen Zinssätzen) offeriert Kapitalanlegern strategische Möglichkeiten, insbesondere im Hinblick auf Laufzeitenmanagement, Renditeoptimierung und Risikodiversifikation. Anleger können von einem aktiven Management, der richtigen Auswahl des Marktsegments sowie einer gezielten Allokation entlang der Zinskurve profitieren.
Die Veränderung der Renditestrukturkurven
Über einen längeren Zeitraum, speziell in 2023 und im ersten Halbjahr 2024,
waren die Renditestrukturkurven von einer Inversion gekennzeichnet. Dies betraf
vor allem Staatsanleihen aus der Kernzone, während Unternehmensanleihen weniger
invertierten. Diese für Investoren ungünstige Konstellation war bedingt durch
den Kampf der Notenbanken gegen die Inflation (hohe Zinsen am kurzen Ende),
gepaart mit schwachen Wirtschaftsaussichten (niedrige Zinsen am langen Ende).
Abbildung eins verdeutlicht exemplarisch die Entwicklung des Renditeabstands
zwischen 10- und 2‑jährigen Bundesanleihen. Von 11/2022 bis 09/2024 verlief die
Bundkurve in diesem Laufzeitsegment nicht nur flach, sondern sogar invertiert.
Die unvorteilhafte Phase flacher oder gar invertierter Kurven wurde in den letzten Monaten abgelöst von einer zunehmenden Versteilerung. Diese Normalisierung der Kurve bedeutet, dass das (risikoreichere) Eingehen längerer Investitionen nun wieder adäquat mit einer Mehrrendite gegenüber kürzeren Laufzeiten entlohnt wird. Die Gründe für diese relativen Verschiebungen liegen, für das kurze Ende der Zinskurve vor allem im Vorgehen der Zentralbanken begründet: Die EZB konnte nach relativ erfolgreicher Bekämpfung der Inflation den Einlagesatz inzwischen zum achten Male senken. Für das lange Ende der Kurve relevant sind generell der Inflationsausblick, das Wirtschaftswachstum und einmalige Faktoren (wie das deutsche Infrastrukturpaket oder die US-Zollankündigungen). Erste wirtschaftliche Erholungstendenzen gepaart mit der Aussicht weiter steigender Staatsschulden führten zuletzt zu einem Zinsanstieg bei längeren Laufzeiten.
Überprüfung der aktuellen Renditestrukturkurve im
historischen Kontext
Ist der Verlauf der aktuellen Zinskurven im Vergleich zur Historie nun
„passend“ und „fair“? Um dies zu überprüfen, haben wir die durchschnittlichen
Steigungen zwischen den einzelnen Laufzeitpunkten über die letzten 20 Jahre
berechnet. Wir konstruieren nun drei Vergleichskurven, basierend auf diesen
historischen Laufzeitspreads. Als Ausgangspunkte fungieren der aktuelle
Leitzins (grau) und die niedrigsten Leitzinserwartungen (hellblau). Auf diese
werden nun die durchschnittlichen Steigungen addiert. Als dritten Ausgangspunkt
nehmen wir die aktuelle 30-jährige Rendite (grün) und ziehen die
durchschnittlichen Steigungen ab. Im Ergebnis befindet sich die aktuelle
Bundkurve weitestgehend auf Linie, der so berechneten drei Referenzkurven (Abb.
zwei). Die analoge Überprüfung der Kurve für
Investmentgrade-Unternehmensanleihen (Abb. drei) führt zur gleichen Aussage: Im
Vergleich zur Historie „passen“ die Kurvenformen nun, mit größeren relativen
Segmentverschiebungen ist unter diesem Aspekt nicht zu rechnen.
Renditechancen durch den Carry & Roll-Effekt
Der Carry beschreibt den Ertrag, den ein Investor erhält, wenn er eine Anleihe
hält - ohne dass sich die Zinskurve verändert. Er besteht primär aus den
Kuponzahlungen. Der Roll-Down-Effekt tritt auf, wenn eine Anleihe mit einer
längeren Laufzeit im Zeitverlauf eine kürzere Restlaufzeit bekommt und dabei
auf der Zinskurve „nach unten rollt“. Bei den aktuell steilen Zinskurven sinkt
die Rendite der Anleihe also mit der Zeit und der Kurs der Anleihe steigt
entsprechend. Ein angenehmer Effekt für Investoren ganz ohne Zutun.
Investoren sollten sich auf der Zinskurve im Laufzeitensegment mit der größten Kurvensteilheit positionieren, um maximal vom Roll-Down zu profitieren. Um diesen Effekt genauer zu untersuchen, haben wir den möglichen Gesamtertrag einer Anleihe (bei Halten über ein Jahr) zerlegt in die laufende Rendite (Carry, direkt abzulesen an der Zinsstrukturkurve) und den zusätzlichen Rollertrag (bei unveränderter Zinssituation).
Investmentchancen am aktuellen Rand
Abbildung vier zeigt den Gesamtertrag (bestehend aus Carry & Roll) bei
wichtigen Staatsanleihen. Dieser wird neben dem relativ hohen absoluten
Zinsniveau aktuell zusätzlich erhöht durch die Potenziale der steilen
Zinskurven. Die Abbildung fünf verdeutlicht den reinen Rollertrag. Dieser ist
aufgrund der momentanen Kurvensteilheit sehr attraktiv und erreicht
exemplarisch bei 7- und 10-jährigen italienischen Staatsanleihen Werte über
1,5%. Aber auch die Bundkurve nähert sich bei länger laufenden Anleihen einem
Zusatzertrag von knapp 1%.
Generell macht der aktuelle Rollertrag bei Bundesanleihen rund 20%-24% des Gesamtertrags aus (7- bis 15-jährige Anleihen). Bei italienischen Anleihen erreicht dieser Anteil sogar Werte über 30% (7- und 10-jährige Anleihen). Hochattraktiv, wenn man im richtigen Markt- und Laufzeitsegment positioniert ist! Unternehmensanleihen aus dem Investmentgrade-Bereich sind mit einem möglichen Gesamtertrag von bis zu 5% bei länger laufenden Laufzeiten sehr attraktiv (Abb. sechs). Zusätzliche Roll-Down-Renditen von bis zu einem Prozent sprechen ebenso für diese Anlageklasse (Abb. sieben). IG-Unternehmensanleihen mit 5-7-jährigen Laufzeiten stellen neben längeren italienischen und französischen Staatsanleihen deshalb unseren aktuellen Anlageschwerpunkt dar.
Weitere Auswirkungen der aktuellen Renditestrukturkurven
Die Carry & Roll Analysen unterstellen eine unveränderte Zinssituation. Was
aber geschieht bei einem Zinsanstieg? Hier stellen die im hohen positiven
Bereich liegenden sowie steil verlaufenden Zinskurven momentan einen
attraktiven Puffer gegen Verluste dar. In unserer Szenarioanalyse eines
Zinsanstiegs von 0,5% würden Bundesanleihen bis zu Laufzeiten von rund neun
Jahren weiter in der Gewinnzone bleiben. Bei IG-Unternehmensanleihen ist dieser
Puffer noch größer, Laufzeiten von bis zu rund 12 Jahren wären hier gegen
Verluste geschützt.
Ein weiterer Aspekt der steilen Zinskurven ist die Tatsache, dass immer mehr Investoren in höhere Laufzeitensegmente „gedrückt“ werden. Gerade bei Duration-Untergewichtungen gegen Benchmarks ist das Risiko einer Unterperformance momentan hoch. Dies ist einerseits darin begründet, dass die absoluten Gesamtrenditen und Rollrenditen recht hoch sind, andererseits die Unterschiede von Laufzeitjahr zu Laufzeitjahr ebenfalls relativ beträchtlich ausfallen. Im Rahmen eines aktiven Managements ist die fortlaufende Überprüfung und Anpassung gerade der Laufzeitenpositionierung deshalb von äußerster Relevanz. Ein zusätzlicher positiver Folgeeffekt: Der graduelle Shift in längere Laufzeiten führt mittelfristig wieder zur Verflachung der Zinskurven und somit zu zusätzlichen Kursgewinnen am langen Ende. Bis dahin gilt es, die Chancen der aktuellen Steilheit durch Positionierung im attraktivsten Markt- und Laufzeitensegment zu nutzen.
Fazit: Laufzeitmanagement, Renditeoptimierung und
Risikodiversifikation
Die jüngste Versteilerung der Zinsstrukturkurve eröffnet Anlegern neue Chancen
zur Renditeoptimierung – insbesondere durch gezielte Positionierung entlang der
Kurve und Nutzung von Carry- und Roll-Down-Effekten. Ein aktives
Laufzeitenmanagement wird damit zum zentralen Hebel, um sowohl Ertragschancen
zu maximieren als auch Risiken effektiv zu diversifizieren. Die aktuelle
Kurvenstruktur zeigt sich im historischen Vergleich als fair bewertet – ein
idealer Zeitpunkt für strategische Allokationen.