Strategie der Manipulation

In den vergangenen Jahren hat die Finanzindustrie massiv an Ansehen und Vertrauen verloren. Nicht zuletzt durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern auch durch immer wieder auftauchende Skandale rund um Steuerhinterziehung und Marktmanipulation. Dabei standen die Enthüllungen rund um Zins-, Währungs- und neuerdings auch Goldpreismanipulationen im Fokus. Aber was veranlasst Banken dazu, sich in solche Manipulationen zu verstricken?

15.04.2014 | 18:55 Uhr

In den vergangenen Jahren hat die Finanzindustrie massiv an Ansehen und Vertrauen verloren. Nicht zuletzt durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern auch durch immer wieder auftauchende Skandale rund um Steuerhinterziehung und Marktmanipulation. Besonders die Zinsmanipulationen im Zusammenhang mit dem LIBOR während der Finanzkrise erhitzten die Gemüter. Im vergangenen Jahr haben sich die UBS, Barclays Bank und die Royal Bank of Scotland auf einen Vergleich geeinigt und mehr als USD 2 Mrd. gezahlt. Aber was veranlasst Banken dazu, sich in solche Manipulationen zu verstricken?

Zunächst kurz zur Funktionsweise der LIBOR Berechnung. Banken beantworten an jedem Arbeitstag folgende Frage der British Bankers‘ Association (BBA):

“At what rate could you borrow funds, were you to do so by asking for and then accepting inter-bank offers in a reasonable market size just prior to 11 am?”
Quelle: http://www.bbalibor.com/explained/the-basics

Bei dieser Frage fällt auf, dass der gemeldete Zins nur auf einer hypothetische Transaktion basiert. Zudem ist der Ausdruck „vernünftige Marktgröße“ mehr als schwammig. Daher bietet allein die Datenerhebung bei den Banken einen gewissen Interpretationsspielraum. Um den finalen LIBOR zu kalkulieren wird ein „trimming“ Prozess angewendet. Bei diesem fallen jeweils die obersten und untersten 25% der gemeldeten Zinssätze heraus und aus den verbleibenden wird das arithmetische Mittel genommen.
Nun gibt es grundsätzlich vier Motive hinter einer Zinsmanipulation:

  1. Abhängig von der Netto-Handelsposition einer Bank kann diese von höheren (wenn sie netto Geld verleiht) oder niedrigeren Zinsen (wenn sie netto Geld leiht) profitieren.
  2. Eine Bank kann mit dem von ihr selbst gemeldeten Zinssatz ihre Reputation aktiv steuern. Ein hoher Zinssatz impliziert hohes Risiko, ein niedriger wenig Risiko.
  3. Der von einer Bank gemeldete Zins hat eine Signalfunktion bezüglich ihrer Bepreisung von Krediten im Markt.
  4. Durch die unterschiedlichen LIBOR Sätze in den verschiedenen Währungen können diese über gezielte Manipulation als hedge genutzt werden.

Bei diesen vier möglichen Motiven muss man zwischen zwei grundsätzlichen Auswirkungen unterscheiden. Die Motive des Reputationsmanagements und des Signalisierens der Bepreisung zielen nicht darauf ab den resultierenden LIBOR zu verändern. Wohingegen die Motive zur Handelsposition und dem Hedging ihre Rechtfertigung nur in einem – erwartungsgemäß zu Gunsten des manipulierenden Instituts – veränderten LIBOR finden.

Aber was sind nun die Konsequenzen für die Wirtschaft? Zum einen gibt es den direkten Effekt: Dadurch, dass der Zins zu hoch oder zu niedrig ist, zahlt der Schuldner dem Gläubiger zu viel oder zu wenig an Zinsen. Der indirekte Effekt ist der, dass die wirtschaftliche Signalfunktion verzerrt ist. So kann es unter Nutzung der gängigen Berechnungsmethoden ein positives Ergebnis für ein Investitionsvorhaben geben, welches unter den wahren Gegebenheiten eigentlich keines wäre. Dies würde dazu führen, dass in einer solchen Situation mit zu niedrigen Zinsen sogar zu viele Investitionen getätigt werden. Offen bleibt nun, ob das in dieser wirtschaftliche Lage von Vor- oder Nachteil war.

Abschließend noch ein reines Gedankenspiel:

Während der Finanzkrise war es für Finanzinstitute – vor allem nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers– besonders wichtig, nicht selbst in den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit zu geraten, was dem Aspekt des Reputationsmanagements durch den LIBOR eine wichtige Rolle zukommen ließ. Mal angenommen, alle Banken hätten ihre Finanzierungskosten wahrheitsgemäß gemeldet (falls dies nicht der Fall gewesen wäre) und diese wären höher gewesen als von den Marktteilnehmern erwartet. Und dadurch wäre ein weiteres Finanzinstitut in den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit geraten, was wiederum zur tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit geführt hätte (selbsterfüllende Prophezeiung).

Die Frage ist nun, hätte das globale Finanzsystem einen weiteren Kollaps eines großen Finanzinstitutes verkraften können? Oder hat ein manipulierter Zinssatz die Welt vor Schlimmerem bewahrt?

 

Disclaimer: Die im Blog zum Ausdruck gebrachten Einschätzungen sind die persönliche Meinung des Autors und spiegeln nicht in jedem Fall die Meinung der FondsConsult Research AG oder der €uro Advisor Services GmbH wider.

Diesen Beitrag teilen: