Neue Welt: Die Konsequenzen für Investoren

Der Ukraine-Krieg, die Inflation und die Zinswende haben die Investmentwelt drastisch verändert. Beim TiAM-Round-Table „Die Welt im Umbruch“ diskutierten drei Branchenexperten, welche Konsequenzen die einschneidenden Ereignisse auf den Kapitalmarkt haben und wie Anleger darauf reagieren können

27.03.2023 | 12:12 Uhr von «Peter Gewalt, Matthias von Arnim»

TiAM: „Zeitenwende“ ist ein großes Wort, das nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sicher nicht nur für die deutsche Politik gilt. Was waren für Sie die prägendsten Momente in den zurückliegenden zwölf Monaten?

Walter Liebe, Pictet: Was den Kapitalmarkt betrifft, waren es für mich die plötzlich sehr schnell ansteigenden Inflations­raten und die Zinswende der ­Notenbanken.
Wobei ich beides nicht nur negativ sehe. Vor allem das Ende der Nullzinspolitik ist nichts anderes als die Rückkehr zur Normalität. Die Notenbanken manipulieren den Markt nun nicht mehr künstlich.

Frank Steffen, RBC BlueBay AM: Auch der Wegfall der Friedensdividende ist ein Thema. Durch den Krieg in der Ukraine sind die Risikoprämien zweifelsohne gestiegen.

TiAM: Werden die Notenbanken die ­Inflation mit ihrer neuen Zinspolitik in den Griff bekommen?

Philipp von Königsmarck, LGIM: Wir wer-
den uns an eine höhere Inflation gewöhnen müssen. Die Frage ist nur, auf welchem Niveau sie sich einpendeln wird.

Steffen: Auch wenn’s schwerfällt – der deutsche Anleger muss sich eher an eine Inflation von drei bis vier Prozent pro Jahr gewöhnen als an die ein bis zwei Prozent der vergangenen zehn Jahre. Dabei spielen die höheren Energiepreise und auch mögliche Zweitrundeneffekte in der Wirtschaft eine Rolle.

Liebe: Die Preise auf dem Rohstoffmarkt werden sich wohl eher normalisieren. Die Frachtraten sinken. Und die Wirtschaft wächst nicht in dem Maße, dass man in den kommenden Monaten einen Rohstoffboom erwarten muss. Aber es gibt andere preistreibende Effekte. Dazu zählt unter anderem die Neuausrichtung der Wirtschaft in den Vereinigten Staaten und in Europa. In der westlichen Welt haben wir erlebt, wie anfällig unsere Wirtschaft geworden ist, wenn wichtige Produktionsstandorte ausgelagert und wichtige Güter – von Medikamenten bis Computerchips – nur noch importiert werden. Wenn die Produktion jetzt wieder in die Heimatländer zurückgeholt wird, bedeutet dies zwangsläufig höhere Kosten und damit steigende Preise.

TiAM: Was bedeutet das für den Kapitalmarkt?

Steffen: Aus unserer Sicht wird die Inflation nicht so hoch ansteigen, wie der Markt es derzeit einpreist. Deshalb erwarten wir auch weniger starke Zinssteigerungen. Die Frage ist doch, was der Markt bereits eingepreist hat und was davon die Notenbanken liefern werden. Diese Differenz und die vermutlich schwankende Erwartungshaltung der Marktteilnehmer wird zu mehr Volatilität auf dem Zinsmarkt führen. Als Rentenfondsspezialist sehen wir das durchaus mit Wohlwollen. So eine Entwicklung kommt uns entgegen.

Königsmarck: Wir gehen davon aus, dass es an den Aktienmärkten noch zu Rücksetzern kommen wird. Denn die Börse ist doch sehr optimistisch ins Jahr gestartet. Grundsätzlich bleiben wir optimistisch, erwarten aber auch am Aktienmarkt eine höhere Volatilität.

TiAM: Ist die Rückkehr der Zinsen eher positiv oder eher negativ zu bewerten?

Liebe: Ich denke, man sollte trennen zwischen einer insgesamt positiven Einschätzung für das Funktionieren von Volkswirtschaften und dem kurz- bis mittelfristigen Effekt auf die Börse. Für eine Volkswirtschaft ist es gut, wenn Geld wieder einen Preis hat. Denn dann wird Kapital effizienter allokiert. Das heißt, Geschäftsmodelle, die nur bei niedrigen Kapitalkosten Gewinne abwerfen, werden scheitern. Dagegen werden sich effiziente Geschäftsmodelle, die teures Kapital gewinnbringend verwenden können, durchsetzen. Das bedeutet aber nicht, dass wir in den nächsten zwölf Monaten oder fünf Jahren nur noch steigende Aktienkurse sehen werden. Denn wenn die Zinsen steigen, bedeutet das einen höheren Diskontierungsfaktor bei der Bewertung von Unternehmen. Je nachdem, wie gut Unternehmen auf die verschärften Finanzierungsbedingungen reagieren, können sie durch mehr Effizienz ihre Gewinne steigern – oder, falls sie keine Effizienzgewinne erzielen können, eben auch nicht.

TiAM: Erwarten Sie unter diesen Voraussetzungen eher Wachstums- oder eher Value-Werte im Vorteil?

Liebe: Die Aktienkurse von Wachstumsunternehmen geraten eher unter Druck, da ihre Gewinne weiter in der Zukunft liegen. Dadurch ist ihr Bewertungsabschlag höher. Unternehmen, die wenig kapitalintensive Geschäftsmodelle haben, leiden weniger unter höheren Finanzierungskosten – viele innovative Firmen der Tech­-
branche binden relativ wenig Kapital. Auch Unternehmen, die nicht nur wachsen, sondern auch stabile Erträge über verschiedene Konjunkturzyklen hindurch erzielen, sind klar im Vorteil.

Königsmarck: Zinssensitive ­Unternehmen sind an der Börse bereits abgestraft worden. Deshalb halte ich es für möglich, dass deren Aktien schon bald wieder Kurspotenzial haben. Ich bin der Auffassung, dass wir zum Ende dieses Jahres hin wahrscheinlich eine sehr positive Entwicklung gerade bei Wachstumsunternehmen sehen werden.

TiAM: Welche speziellen Branchen ­profitieren von höheren Zinsen?

Steffen: Banken in erster Line. Jedes Viertelprozent an Zinsen bringt Banken einen Mehrertrag von durchschnittlich vier Prozent. Der höhere Gewinn kann sogar die höhere Inflation zumindest auffangen oder sogar übertreffen.

TiAM: Wie sehen Sie die Entwicklung bei Anleihen? Befürchten Sie im Bereich der Hochzinsanleihen höhere Ausfallraten?

Steffen: Vielleicht gibt es einen kleinen Anstieg bei den Ausfallraten. Aber hier sehen wir keine größeren Gefahren. Speziell Contingent Convertible Bonds von Finanzinstituten, kurz CoCos, also lang laufende, nachrangige Finanzanleihen mit festem Kupon, bleiben in solch einem Szenario erfahrungsgemäß stabil. Wir setzen hier nur auf Anleihen bonitätsstarker Unternehmen. Ein wenig mehr Inflation und ein leicht höherer Zins haben in diesem Segment kaum Auswirkungen auf unser Portfolio. Wir sehen hier übrigens nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen. Derzeit sind sieben Prozent Rendite per annum möglich. Das galt lange Zeit als ein unerreichbarer Wert für Anleihen.

Königsmarck: Auch einige Emerging-Markets-Anleihen bieten derzeit besondere Chancen. Ich nenne Indien als Beispiel. Die Währung ist stabil und das Wirtschaftswachstum hoch. Dazu kommt, dass dieser Anleihemarkt sich unabhängig von anderen Märkten entwickelt. Unter dem Gesichtspunkt einer guten Diversifikation ist dieser Aspekt nicht zu vernachlässigen.

Welche Chancen bieten die Emerging Markets derzeit generell?

Steffen: Wir beobachten, dass sich zunehmend Investoren von China abwenden. Das liegt unter anderem daran, dass sowohl die EU als Handelsraum als auch europäische Unternehmen nach Alternativen zu China suchen und einige Staaten derzeit mit viel Geld umgarnen. Im Gegenzug versuchen Länder wie beispielsweise Ghana, Ägypten oder Pakistan, sich aus der chinesischen Schuldenumklammerung zu befreien.

Liebe: Das ist für Europa kein einfaches Unterfangen. Denn EU-Gelder sind oft mit hohen Auflagen verbunden. Demokratie, Korruptionsbekämpfung und Meinungsfreiheit als Grundwerte sind nicht überall gleich beliebt. Die chinesischen Geld­geber sind da weniger zimperlich. Das ist ihr vordergründiger Vorteil. Und auch beim Thema Umweltschutz und CO₂-Reduktion haben manche Länder eine andere Vorstellung als wir.

TiAM: Kommen wir zu Ihrer grundsätzlichen Einschätzung der aktuellen Situa­tion: Sehen Sie derzeit mehr Chancen oder mehr Risiken am Horizont?

Steffen: Die Volatilität wird meiner Meinung nach eher steigen, weil die Investoren sehr unsicher sind, wie es weitergehen wird. Als Anleiheinvestoren finden wir diese Aussicht ausgesprochen gut. Denn wir lieben Volatilität. In schwankungs­intensiven Märkten können wir den größten Mehrwert für unsere Anleger schaffen.

Liebe: Die Rückkehr des Zinses ist für die Wirtschaft als Ganzes gesehen eine gute Entwicklung. Und letztlich auch für die Börse. Ich finde es gut, dass die einzelnen Assetklassen wieder eigenständig funktionieren. Damit ist auch wieder eine vernünftige Diversifikation im Portfolio möglich. Außerdem wird aktives Fondsmanagement wieder belohnt. Einfach nur in passive Fonds zu investieren und mit dem Strom zu schwimmen ist nicht mehr die beste Strategie.

Königsmarck: Diese Aussage kann ich nur unterstützen. Mit einer breiten Länder­allokation plus einzelnen Themeninvestments können Sie als Anleger jetzt wieder ein Portfolio aktiv steuern. Themenfonds spielen deshalb zunehmend eine wichtigere Rolle. Auch für Berater bedeutet dies: Ihre Rolle wird wieder wichtiger.


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