M&G: Säkulare Stagnation? Eher säkulare Stabilität

Das Definitionsmerkmal amerikanischer Wirtschaftsdaten seit der Finanzkrise ist nicht Stagnation, sondern Stabilität. Mit Ungläubigkeit bezüglich der Selbstüberschätzung von Wirtschaftswissenschaftlern blicken wir alle zurück auf die „Great Moderation“. Oder ist die Große Moderation vielleicht zur Realität geworden?

07.07.2017 | 10:50 Uhr

Die „Great Moderation“ barg schon immer ein Körnchen Wahrheit. Zyklische wirtschaftliche Risiken in Verbindung mit der Inflation wurden tatsächlich eliminiert. Die auffälligste Eigenschaft der Inflation der letzten 20 Jahre ist die vollständige Invarianz gegenüber Schocks und politischen Veränderungen. Nur sehr wenige Wirtschaftswissenschaftler haben vorhergesagt,  dass sich die Kerninflation als Reaktion auf Ölpreisschwankungen von 10 USD auf 150 USD oder auf den rasantesten Anstieg der Geldbasis in der Geschichte auf einen noch nie dagewesenen Anteil des BIP (obwohl dies in Japan bereits vorkam) kaum bewegen würde.

Die anhaltende Obsession des gesamten Berufstands der Ökonomen mit Phillips-Kurven und der wunderbar naiven Vorstellung, dass Zentralbanken Inflationsziele ihrer Wahl erreichen können, offenbart eine beharrliche Leugnung dieser wesentlichen Tatsache. Die Inflation ist wirklich tot und Politiker müssen sich keine Gedanken mehr darüber machen.

Dies galt jedoch vor der Krise. Mittlerweile ist uns allen klar, dass Probleme mit der Inflation nicht die einzige Quelle für zyklische Risiken sind – Leverage und Liquiditätsknappheit im Bankensystem können sogar noch gefährlicher sein. Was aber macht der Mensch, nachdem er ein angsteinflößendes Trauma erlebt hat? Er versucht zu verhindern, dass es noch einmal passiert.

Den Kampf der Vergangenheit kämpfen

Bei all dem Händeringen nach der Krise und der regulatorischen Komplexität von Dodd-Frank und Basel III ist es doch ziemlich einfach, eine Bankenpanik zu verhindern. Hohe Liquiditätsquoten sorgen für eine Begrenzung von Anstürmen und hohe Kapitalquoten begrenzen Ausfälle. Wie Stanley Fischer von der Fed am Dienstag feststellte, haben die USA bereits wichtige Schritte unternommen, um diese Ziele zu erreichen. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, der dazu beiträgt, die Stabilität im Bankensystem zu erhöhen.

Hongkong dient als Beispiel dafür. Es ist eine „Taleb-Volkswirtschaft“. Sie ist anti-fragil, da Volatilität geplant erschaffen wird. Nachdem der Hongkong-Dollar an den US-Dollar gekoppelt wurde, fanden in Hongkong wilde Schwankungen der Vermögenswertpreise statt (vor allem im Immobiliensektor), was als strukturelles Merkmal der Wirtschaft betrachtet werden kann. Es ist wohlt nicht möglich, eine Volkswirtschaft zu kreieren, die stärker zu Berg- und Talfahrten neigt. Das Zinsniveau könnten auch nach dem Zufallsprinzip festgelegt werden. Das BIP-Wachstum wird von China bestimmt und die Geldmarktsätze von den USA. Demzufolge unterhielt die Hong Kong Monetary Authority stets die höchsten Kapital- und Liquiditätsquoten der entwickelten Welt. In den frühen 80er Jahren erlitt die Behörde mental tiefe Narben, die Asienkrise überstand sie ohne einen wesentlichen Bankenausfall.

Was also passiert mit einer Wirtschaft, die ein gut reguliertes Bankensystem und keine Inflation aufweist? Darüber müssen wir keine Vermutungen anstellen. Australien ist ein direktes Beispiel dafür:

Australien hat seit 25 Jahren keine Rezession erlebt (und bevor nun das Wort „China“ fällt, sollte man sich in Erinnerung rufen, dass Australien resistent gegenüber der Asienkrise, der globalen Finanzkrise sowie dem Boom-Bust-Zyklus im Rohstoffsektor war, obwohl das Land während der gesamten Zeit mitunter die höchste Verschuldung der privaten Haushalte aufwies!)

Die Vereinigten Staaten wurden bereits wachgerüttelt. Die Große Rezession legte das Fundament für eine säkulare Stabilität. Die Inflation ist ‚toter‘ als je zuvor und das Risiko einer Bankenkrise ist in sich zusammengefallen – Die Liquiditätsquoten sind so hoch wie nie zuvor, die Kapitalquoten sind hoch und die Fed sowie alle anderen Aufsichtsbehörden, die diese schrecklichen Monate im Jahr 2008 miterlebten, haben immer noch panische Angst, dass sich eine solche Situation wiederholen könnte.

Ist Stagnation der Preis, den wir für Stabilität zahlen?

In den USA hält die längste Phase des Beschäftigungswachstums im privaten Sektor ohne Unterbrechung weiterhin an und die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession schwindet. Bedeutet das also zwangsläufig, dass ein niedriges Wachstum der Preis für säkulare Stabilität ist?

Absolut nicht. Australien verdeutlicht das. Ebenso wie die Logik und empirische Nachweise. Marty Feldstein formulierte noch einmal die schon sehr lange existierenden Argumente dafür, dass Inflation überbewertet wird (war der Boskin Report nicht im Jahr 1996?) und das reale BIP demzufolge höher liegt als gemessen. Boskin legte nahe, dass das reale Wachstum um 1% höher lag als bemessen.

So war es immer. Man hüte sich vor Ökonomen, die sich auf Produktivitätsstatistiken beziehen. Und falls noch irgendein Zweifel besteht, lesen Sie dieses empirische Meisterwerk von Bryjolfsson und Hitt.

Die verblüffendere Beobachtung ist, dass wir uns gleichzeitig über Technologie, die uns die Arbeitsplätze wegnimmt und über säkulare Stagnation Sorgen machen sollen. Die Tatsachen belegen, dass in beiden Hinsichten das Gegenteil richtig ist. Wir beobachten gleichzeitig rasante Innovationen und beinahe Vollbeschäftigung.

Und was die Produktionszahlen angeht, brauchen die Statistiker mindestens noch 20 Jahre, bevor sie irgendetwas davon glauben. Natürlich gab es schon immer Probleme bei der Bemessung. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass 0% reales Wachstum „Stagnation“ bedeutet und 3% reales Wachstum sich schnell summieren! Es ist gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Probleme bei der Bemessung heute größer sind als in der Vergangenheit – Der Anteil des Dienstleistungssektors am BIP hat sich erhöht und das Wesen von Investitionen hat sich fundamental verändert. Die meisten der heute getätigten Investitionen werden nicht einmal als Investitionsausgaben berücksichtigt.

Stabilität schafft Instabilität. Auch das Gegenteil scheint zuzutreffen.

Der Artikel erschien im Original am 6. Juli 2017 auf www.allocationblog.com.

Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Archivinformationen handelt. Sie sind nicht als aktuelle Ansichten oder Einschätzungen, sondern nur als historische Angaben zu verstehen.

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