Länderblickpunkt: Vietnam

Der Tigerstaat zwischen prosperierendem Wachstum und hohem Reformdruck.

16.03.2012 | 10:47 Uhr von «Patrick Daum»

Vietnam verfügt über ein großes wirtschaftliches Potential. Zudem wurde mit der Widerwahl von Ministerpräsident Tan Dung im Januar 2011 für Kontinuität in der Politik gesorgt. Dennoch steht Vietnam vor großen Herausforderungen. Christoph Witte hat für den Kreditversicherer Delcredere NV einen Länderblickpunkt zusammengestellt.

Große innere Risiken des Landes sieht Witte in der zunehmenden Unzufriedenheit der Arbeiterschaft. Ähnlich wie im benachbarten China steige mit der ökonomischen Entwicklung des Landes und der zunehmenden Ungleichheit der Vermögensverteilung  auch die soziale Instabilität. Die Unzufriedenheit trete vor allem bei Industriearbeitern auf und werde von den Behörden durch Lohnerhöhungen anstatt mit repressiven Mitteln zu besänftigen versucht. Für die regierende Kommunistische Partei Vietnams (KPV) ist es wichtig, dass es zu einer positiven sozialen Entwicklung kommt, wenn sie ihre Macht im bisherigen Rahmen erhalten will. Ob dies aber ausreicht, sei mehr als fraglich. Denn zunehmende sozioökonomische Ungleichgewichte bedrohten die innere Stabilität.

Von der globalen Wirtschaftskrise 2008 und 2009 hat sich die vietnamesische Wirtschaft recht schnell erholt. Makroökonomische Ungleichgewichte, die während der Hochkonjunktur aufgebaut wurden, bestünden jedoch fort. Die Durchschnittliche Wachstumsrate des Landes fiel von 7,5 Prozent in den Jahren 2000 bis 2007 auf sechs Prozent in den vergangenen vier Jahren. Getragen wird das Wachstum primär von Exportgütern wie Kleidung oder Rohstoffen.

Eine stark zunehmende Binnenfrage in Vietnam führte zunächst zu einem deutlich größeren Defizit in der Leistungsbilanz, konnte aber, dank steigender Überweisungen von im Ausland arbeitenden Vietnamesen, wieder auf vier Prozent des BIP gesenkt werden.

Große Sorgen bereitet auch in Vietnam die finanzielle Ansteckungsgefahr durch die Krise in der Eurozone. Für das Land bestehe das Risiko einer Schädigung durch den Kapitalabzug europäischer Banken und zugleich verminderter ausländischer Direktinvestitionen. Diese sanken bereits von 15,5 Milliarden US-Dollar in 2010 auf rund 11 Milliarden US-Dollar in 2011.

Die vietnamesische Zentralbank hat sich zu einer prozyklischen Ausrichtung entschieden, um die Konjunktur weiter abzukühlen. Dadurch soll vor allem den massiven Preissteigerungen entgegengewirkt werden. Die zwischen 2006 und 2010 jährliche um 35 Prozent zunehmenden Kredite an Banken wurden begrenzt, was das Kreditwachstum seitdem verlangsamte. Der Inflationsbekämpfung, einem Hauptziel der Regierung, wird mit hohen Zinssätzen von derzeit 15 Prozent p.a. begegnet.

Ein weiteres Thema von hoher Priorität für die Zentralbank ist die Wechselkurspolitik. Das hohe Leistungsbilanzdefizit seit Mitte 2008 übt einen hohen Druck auf die Landeswährung Dong aus. In weniger als drei Jahren kam es zu sechs Abwertungen des Dong, was seinen Wert gegenüber dem US-Dollar um fast 30 Prozent verringerte. Da die Währung praktisch an den Dollar gebunden ist, ist er durch Stimmungsschwankungen der Investoren leicht angreifbar.

Die anhaltende externe Liquiditätsschwäche Vietnams erklärt Witte durch hohe Importe, die enttäuschenden Direktinvestitionen des vergangenen Jahres und mehrfache Interventionen der Vietnamesischen Staatsbank zur Verteidigung des angestrebten Wechselkurses zum US-Dollar.

Die Behörden seien seit 2011 fest entschlossen, die angestauten makroökonomischen Ungleichgewichte zu bekämpfen. „Die Regierung habe den Schwerpunkt auf Stabilität und Inflationsbekämpfung gelegt.“

Ebenso habe sich Hanoi zum Ziel gesetzt, den Staatshaushalt zu konsolidieren. Dies ist auch erforderlich, so Witte, denn das Haushaltsdefizit habe sich im Jahr 2009 auf neun Prozent des BIP vergrößert. Jüngsten offiziellen Stellungnahmen zufolge nehme die Staatsverschuldung durch neue Kredite zu und dürfte in 2012 bis auf 58 Prozent des BIP steigen.

„Das große Potential und die günstige Position Vietnams in einer sehr Wettbewerbsfähigen Region kann nicht bestritten werden“, so Witte. Niedrige Lohnkosten, allerdings bei nach oben tendierenden Löhnen, und der stark wachsende Binnenmarkt machten das Land zu einem sehr attraktiven Ziel für ausländische Investoren. Die Geschäftsrisiken blieben jedoch hoch, da das Land unter weit verbreiteter Korruption, schwerfälliger Bürokratie sowie der Intransparenz und geringen Verlässlichkeit der Finanzdaten leide. Daher ist es für Witte erforderlich, dass die Regierung die Qualität ihrer Wirtschaftspolitik erhöhe und Strukturreformen umsetze.

Darüber hinaus müsse der Bankensektor gesunden. Die Qualität der Vermögenswerte der staatlichen Geschäftsbanken hätte wahrscheinlich, so Witte, unter der jahrelangen massiven Zunahme der Kreditvergabe an finanzschwache und verschuldete Staatsunternehmen gelitten. Derzeit beträgt das inländische Kreditvolumen 120 Prozent des BIP, wovon 40 Prozent auf Staatsunternehmen entfallen. Durch den Mangel an Transparenz, das schlechte Risikomanagement und die unzureichende Kapitalausstattung der staatlichen Geschäftsbanken, die zudem große Summen in Projekte mit geringer Qualität investiert hätten, käme es nach Wittes Ansicht zu einer Verschärfung des Problems.

Sein Ausblick für Vietnam fällt daher auch gemischt aus. Zum einen habe das Land ein hohes wirtschaftliches Potential welches sich weiter kräftig entwickeln werde. Andererseits hingen die Nachhaltigkeit der Wirtschaft, das Vertrauen der Investoren und die Entwicklung des Länderrisikos vor allem von einer hochqualifizierten Wirtschaftspolitik ab, die die zahlreichen Ungleichgewichte in Außenwirtschaft und Staatshaushalt angehe, und grundlegende Strukturreformen insbesondere bei den Staatsunternehmen und im Bankensektor durchsetze.

Ein Blick auf die Wertentwicklungen von Investmentfonds, die in Vietnam investieren, zeigt durchaus Entwicklungspotenzial. Der dbx FTSE Vietnam ETF 1C der Deutschen Bank zeigt seit Jahresstart eine Wertentwicklung von 21,93 Prozent. Der BNY Mellon Vietnam, India and China, der immerhin zu 9,6 Prozent in vietnamiesische Divdidentitel investiert, sogar von 28,30 Prozent. Allerdings: im Zwei-Jahres-Vergleich sind beide Produkte rückläufig. Der Fonds der Deutschen Bank verzeichnet ein Minus von 43,77 Prozent, der BNY Mellon verliert 19,10 Prozent.

FINANZEN FundAnalyzer (FVBS): Vietnam-Fonds im Vergleich

 

(PD)

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