Bürgergeld: Das richtige Instrument zur falschen Zeit

TiAM FundResearch blickt auf die vergangene Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: das neue Bürgergeld.

25.07.2022 | 07:30 Uhr von «Matthias von Arnim»

Rückblick auf die vergangene Woche

SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil hat am vergangenen Mittwoch offiziell Hartz IV beerdigt. Der Gesetzentwurf für das neue Bürgergeld, das zum 1. Januar kommenden Jahres das Hartz-IV-System ablösen soll, beinhaltet fünf wesentliche Punkte. Erstens: In den ersten beiden Bezugsjahren soll bei Bürgergeldempfängern ein Vermögen von bis zu 60.000 Euro unberücksichtigt bleiben. Vermögen zur Altersvorsorge bleibt unabhängig davon unangetastet. Autos müssen nicht verkauft werden, und die eigene selbstgenutzte Immobilie darf in Zukunft größer sein. Zweitens: Jobcenter können Bezugsempfängern kein Pflichtenheft mehr diktieren. Stattdessen sollen sie sich die Partner „auf Augenhöhe“ über Maßnahmen einigen, die zur Wiederaufnahme eines Jobs führen können. Drittens: Die Sanktionen bei Nichtbeachtung von Auflagen werden entschärft. In den ersten sechs Monaten werden sie komplett ausgesetzt. Das erste halbe Jahr gilt als Vertrauenszeit. Drittens: Fortbildung geht vor Arbeit. Bezugsempfänger müssen nicht mehr niedrig entlohnte Jobs annehmen, sondern können sich stattdessen fortbilden und eine bis zu drei Jahren dauernde Berufsausbildung machen. Viertens: Die Bearbeitung soll weniger bürokratisch werden. Fünftens: Die Regelsätze sollen erhöht werden.

Man darf Hubertus Heil gratulieren. Er hat mit dem Gesetzentwurf etliche Schwachstellen von Hartz IV ausgebessert. Vor allem aber hat er ein Trauma der SPD überwunden. Blöd nur, dass das Gesetz zur falschen Zeit kommt. Die an sich gute Grundidee des Bürgergelds ist es, arbeitssuchende Menschen dabei zu unterstützen, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das klingt gut, zielt aber leider zu 180 Grad an der Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes vorbei. Das Problem ist nämlich eher ein anderes: Es verabschieden sich in den kommenden Jahren deutlich mehr Menschen aus dem Berufsleben als neue Kräfte nachrücken. Expertenschätzungen zufolge stehen dem Jobmarkt bis 2035 allein aus demografischen Gründen rund sieben Millionen Menschen weniger zur Verfügung. Arbeit ist also keine Mangelware, sondern die Arbeitnehmer sind es. Oder anders gesagt: Wer Arbeit sucht, wird mit sehr hoher Wahrscheinlich welche finden. Denn es fehlen Fach- und Hilfskräfte in allen Bereichen. Jetzt schon. Ob Ingenieure, Pflegepersonal oder Gepäckbandarbeiter – Personalmangel allenthalben. Das Jobcenter kann hier vielleicht denjenigen helfen, die schlecht organisiert sind bei der Arbeitssuche. Aber es braucht eigentlich kein komplexes Regelwerk mehr, wie es das Bürgergeld jetzt ist. Es hätte gereicht, Arbeitssuchenden übergangsweise eine großzügige Unterstützungszahlung zukommen zu lassen, bis sie einen neuen Job gefunden haben, danach eine deutlich geringere Summe als Sozialhilfe. Ohne aufwändige Prüfungen, aber auch ohne die Garantie, von dem Geld auf Dauer leben zu können. Ausnahme: nicht arbeitsfähige Personen müssen alimentiert werden, selbstverständlich. Dafür gibt es andere Lösungen als das Bürgergeld.

An dieser Stelle ein unverbindlicher Vorschlag: Hubertus Heil könnte auch mal Ideen dafür entwickeln, wie Menschen motiviert werden können, länger zu arbeiten. Wieso wird Frühverrentung gefördert? Warum gibt es immer noch ein starres Pensions- und Rentenalter, auch für Menschen, die länger arbeiten wollen? Wieso werden Zuverdienst-Möglichkeiten in der Rente beschränkt? Warum wird Arbeit überhaupt so hoch besteuert? Und last but not least: Warum bleiben bei nahezu allen Gesetzesentwürfen, die Berufstätigen das Leben erleichtern sollen, Selbständige und Freiberufler außen vor? Warum wird nur der Weg ins Angestelltenverhältnis als offensichtlich einzig denkbare Daseinsform gefördert? Auch in den Jobcentern? Fragen, die der Arbeitsminister sich vermutlich nicht stellt. Egal. Hauptsache, das Hartz IV-Trauma ist jetzt überwunden.

Ausblick auf interessante Termine in dieser Woche

Am Dienstag veröffentlicht Finnland aktuelle Zahlen zur Arbeitslosenquote. Die Zahl der Arbeitslosen ist zuletzt etwas angestiegen, bewegt sich aber schon seit Jahren auf einem eher niedrigen Niveau. Hinweis: Finnland hat ein sehr modernes Arbeitsrecht mit hoher Flexibilität in der Arbeitszeit – auch in Hinblick auf die Lebensarbeitszeit, ein vergleichsweise einfaches Steuersystem und ein deutlich höheres Rentenniveau als Deutschland. Arbeitslose bekommen für die Dauer von 500 Tagen 85,1 Prozent ihres vormaligen Lohnes ausgezahlt. Eine einfache Regelung. Wie machen die das? Vielleicht fördert das Jobcenter ja auch politische Bildungsreisen nach Finnland?

Am Mittwoch veröffentlicht die EZB das Wachstum der Geldmenge M3. Die Zahl zeigt an, wie schnell die Menge an Euro in Form von Banknoten, Münzen, Bankguthaben Wertpapierpensionsgeschäften und Anleihen (bis 2 Jahre) wächst. Das Geldmengenwachstum ist stark rückläufig. Im Januar 2021 nahm M3 im Vergleich zum Vorjahr noch um 12,5% zu. Bei der letzten Erhebung für den April 2022 waren es nur noch 5,6%.

Am Donnerstag werden von der EU-Kommission sowohl die Zahlen zum Verbrauchervertrauen als auch der Geschäftsklimaindex veröffentlicht. Letzte Ergebnisse zeigen: Während die Verbraucher in Europa immer weniger Vertrauen in die Wirtschaftstätigkeit ihrer Länder haben, bleibt der Geschäftsklimaindikator auf einem hohen Niveau. Daraus folgt: Die Stimmung ist offensichtlich deutlich schlechter als die Lage.

Am Freitag gibt es in Japan neue Zahlen zur Arbeitslosenquote. In Nippon kommen auf einen Job im Durchschnitt nur 1,24 Bewerber. Wohlgemerkt: Das ist ein Durchschnittswert. Die Berechnung erfolgt, indem die monatlich aktiven Stellensuchenden einfach durch die monatlich aktiven Stellenangebote dividiert werden. Da nicht für jeden Job ausreichend qualifizierte Bewerber zur Verfügung stehen, herrscht de facto Vollbeschäftigung. Arbeitslose beziehen 67 Prozent ihres ehemaligen Gehalts als Arbeitslosengeld – für einen Zeitraum von 90 bis 150 Tagen. Länger dauert es eher selten bis zur Aufnahme eines neuen Jobs. Keiner Arbeit nachzugehen und nicht selbst für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen, ist in Japan verpönt.

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