Marktkommentar zu Griechenland

Von Chris Iggo, CIO Fixed Income bei AXA Investment Managers - Die Themen der Woche:

29.02.2012 | 09:24 Uhr

  • In der Wirtschaftsberichterstattung nimmt Griechenland einen Raum ein, der in keinem Verhältnis zur weltwirtschaftlichen Bedeutung des Landes steht.
  • Ob zum griechischen Steuersystem oder zu den Kosten eines Urlaubs auf Korfu, falls Griechenland die Währungsunion verlässt ... noch nie haben sich so viele Kommentatoren so oft zu Themen geäußert, über das sie so gut wie nichts wissen.
  • Aber leider werden uns diese Themen noch einige Zeit erhalten bleiben, denn die Umsetzung des neuen Rettungspakets und die Restrukturierung der Schulden bei privaten Gläubigern bergen noch immer hohe Risiken.
  • Langfristig: Es bleibt unklar, ob die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ohne immer neue europäische Hilfsgelder wiederhergestellt werden kann.
  • Kurzfristig: Die Einigung über neue Griechenlandhilfen, die Fortschritte beim „dauerhaften“ Stabilitätsmechanismus ESM und die massiven Liquiditätshilfen der EZB sind gut für die Märkte.
  • Ein Thema: Das Ausfallrisiko von Unternehmensanleihen im Vergleich zum Ausfallrisiko von Staatsanleihen
  • Das Konjunkturumfeld hat sich seit dem 3. Quartal 2011 geringfügig verbessert.
  • Immer mehr Investoren interessieren sich wieder für die politische und wirtschaftliche Bedeutung von Öl.

In dem Film „My Big Fat Greek Wedding – Hochzeit auf Griechisch“ gibt es eine komische Figur. Immer und immer wieder redet der Vater der Braut über den großen Beitrag der alten Griechen zur modernen Zivilisation. Ständig erzählt er, wie viele Wörter aus dem Griechischen stammen und dass Literatur, Dichtung, bildende Kunst, Kultur, Sport und vieles mehr Erfindungen der alten Griechen seien. Recht hat er. Aber das ändert nichts daran, dass Griechenland in der Wirtschaftsberichterstattung einen Raum einnimmt, der in keinem Verhältnis zur weltwirtschaftlichen Bedeutung des Landes steht. Unzählige Worte wurden verloren – über die griechische Schuldenstandsquote, die Unfähigkeit des Landes, Verträge mit den Gläubigern einzuhalten, die Möglichkeit eines Zahlungsfalls und einen denkbaren Austritt aus dem Euroraum. Milliarden von Wörtern – und den Investoren reicht es allmählich. Die Lage in Griechenland ist schlecht, und wir wissen es. Wir haben viel darüber gelesen, wie schlecht sie ist. Unzählige Intellektuelle und Politiker erzählen es uns immer wieder. Es reicht wirklich, wir wollen es nicht mehr hören.

Anfang letzter Woche einigten sich EU und IWF auf ein zweites, 130 Mrd. Euro schweres Rettungspaket für Griechenland. Außerdem verständigte man sich auf die Restrukturierung jenes großen Teils der griechischen Anleihen, die sich noch immer in den Händen privater Gläubiger befinden. Ziel ist, die griechische Schuldenstandsquote bis 2020 auf 120% des BIP zu senken – durch einen Forderungsverzichts des privaten und des öffentlichen Sektors, durch Privatisierungen, Deregulierung und Sparprogramme. Griechenland wird sich dann lange kein Geld mehr am Kapitalmarkt beschaffen müssen, und durch die Restrukturierung der Schulden dürfte das Risiko eines ungeordneten Zahlungsausfalls erheblich abnehmen. Aber jetzt sollten wir wirklich aufhören, immer über Griechenland zu reden – wohin man auch geht, jeder hat eine Meinung zur Effizienz des griechischen Steuersystems, der Sinnhaftigkeit des seinerzeitigen Beitritts zum Euro und zum Preis eines vierzehntägigen Urlaubs auf Korfu, falls Griechenland die Währungsunion verlässt. Noch nie haben sich so viele Kommentatoren so oft zu etwas geäußert, über das sie so gut wie nichts wissen.

Aber leider werden uns diese Themen noch einige Zeit erhalten bleiben. Die Umsetzung des zweiten Rettungspakets birgt noch immer hohe Risiken, und es ist keineswegs sicher, dass die von privaten Gläubigern gehaltenen Anleihen wie geplant umgeschuldet werden. Nicht alle waren an den Verhandlungen beteiligt, die mit dem Vorschlag eines 53,5-prozentigen Haircuts endeten. Wenn einige Investoren diesen ablehnen, besteht noch das (wenn auch kleine) Risiko eines baldigen ungeordneten Zahlungsausfalls. Dem dürften aber die sogenannten Collective Action Clauses entgegenwirken, mit denen – eine ausreichende Zustimmung vorausgesetzt – sämtliche Gläubiger zur Beteiligung an der Restrukturierung gezwungen werden können. Aber selbst dann könnten die bevorstehenden Wahlen in Griechenland und der unübersehbare öffentliche Widerstand gegen weitere Sparmaßnahmen die nur knapp erfüllten Voraussetzungen für zusätzliche Finanzhilfen gefährden.

Langfristig ist noch nicht einmal klar, ob Griechenland seine Schulden ohne neue europäische Hilfen weiter tragen kann. Am Ende werden sich die meisten griechischen Anleihen im Besitz europäischer Institutionen befinden. Man könnte meinen, dass es der EU dann leichter fällt, wirtschaftliche Reformen in Griechenland durchzusetzen. Denkbar wäre aber auch, dass die EU dann ganz ohne Markturbulenzen den Austritt Griechenlands aus dem Euroraum organisieren könnte.

Aber all das ist Kaffeesatzleserei. Kurzfristig sind die Einigung über neue Griechenlandhilfen, die Fortschritte beim „dauerhaften“ Stabilitäts-mechanismus ESM und die massiven Liquiditätshilfen der EZB gut für die Märkte. Die Staatsanleihespreads sind stabil oder gehen in vielen Fällen sogar zurück. Der Spread zehnjähriger italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen beträgt jetzt 360 Basispunkte, nach 550 Basispunkten im November. Auch die Unternehmensanleihespreads sind heute deutlich enger. Im Investmentgradebereich sind sie in Europa seit dem Jahresende um 70 Basispunkte zurückgegangen. Mit europäischen Unternehmensanleihen verdient man damit (gemessen am Index) gerade einmal 3,6%. Insgesamt glauben wir, dass sich die europäischen Staatsanleiherenditen in diesem Jahr kaum verändern werden, falls die EZB ihre Geldpolitik beibehält. Maßgeblich für die Renditen am Anleihemarkt wird daher die Entwicklung der Spreads sein. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Unternehmensanleihespreads um weitere 50 Basispunkte zurückgehen. Wenn die „risikolosen“ Zinsen weitgehend unverändert bleiben, könnte dies also weitere Kursgewinne von etwa 2% bedeuten. Möglich würde ein weiterer Spreadrückgang durch technische Faktoren (wie eine deutliche Veränderung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage) oder einen erkennbar besseren Konjunkturausblick. Dann müsste man mittel- bis langfristig aber auch mit steigenden Zinsen rechnen, so dass die Unternehmensanleihenrenditen insgesamt weniger stark zurückgingen. Einstweilen bleiben wir für die Assetklasse aber optimistisch. Wir sind uns allerdings bewusst, dass die Spreads bereits stark gefallen sind – nämlich um die Hälfte dessen, was ursprünglich für das ganze Jahr erwartet worden war.

Wir haben bereits erwähnt, dass wir Unternehmensanleihen für interessanter halten als nicht risikolose Staatsanleihen. Der Unternehmensanleihemarkt ist stärker diversifiziert, und im Moment ist es nicht einfach, die Risiken von Staatsanleihen zu handhaben, da sie doch vor allem von Politik und Systemstabilität abhängen. Wer aber lediglich auf Laufzeitenallokation setzen und Kreditrisiken gänzlich meiden wollte, hatte es in den letzten drei Jahren auch nicht leicht. Durch die Staatsschuldenkrise entstanden viele ungewollte Kreditrisiken. Vor einigen Tagen habe ich mir die Korrelation der italienischen und deutschen Zehnjahresrenditen angesehen, und zwar konkret die Korrelation des gleitenden 90-Tages-Durchschnitts der täglichen Änderungen der Benchmarkrenditen in den letzten zehn Jahren. Offensichtlich hat sich seit 2007 viel geändert: Früher betrug die Korrelation fast 100%, d.h. es war völlig egal, ob man italienische oder deutsche Papiere kaufte. Aber als die Finanzkrise ausbrach, ging die Korrelation schnell zurück, und heute ist sie sogar negativ. Ganz anders ist es bei der Korrelation italienischer Anleihen mit europäischen Aktien: Sie ist von nahezu Null auf ungefähr 40% gestiegen. Italienische Anleihen sind heute also sehr viel stärker mit risikobehafteten Wertpapieren korreliert als mit sicheren Anleihen. Das erklärt auch, warum sich viele europäische institutionelle Investoren, die Wert auf eine Laufzeitenkongruenz von Anlagen und Verbindlichkeiten legen, aus den Peripherieländern zurückgezogen haben.

Maßgeblich für unsere strategische Asset-Allokation ist die Top-Down-Einschätzung, also das Gesamtbild der Weltwirtschaft und unsere Konjunkturprognose. Wichtig sind aber auch die Bewertungen, technische Indikatoren und die Einschätzung der Anlegerstimmung. Das Konjunkturumfeld hat sich seit dem 3. Quartal 2011 leicht verbessert. Wie ich letzte Woche schon geschrieben habe, finde ich vor allem die Lage in den USA ermutigend. Insbesondere vom Arbeitsmarkt kommen weiter gute Nachrichten. Aber selbst in Europa ist nicht alles schlecht. Der ifo Geschäftsklimaindex, ein wichtiges Konjunkturbarometer für die deutsche Volkswirtschaft, ist seit Ende letzten Jahres gestiegen. Er ist heute wesentlich näher an seinem Allzeithoch als an seinem Tiefststand aus dem Jahr 2009. Auch deshalb setzen wir zurzeit verstärkt auf Unternehmensanleihen, ebenso wie viele andere Investoren. Dass viele Anleger es ähnlich sehen, zeigt sich an der guten Entwicklung von Neuemissionen – aber auch hier scheinen uns Unternehmensanleihen, Investmentgradepapiere ebenso wie High-Yield, interessanter als Staatsanleihen, bei denen noch immer viele unerwartete Ereignisse und starke Kursschwankungen möglich sind. Die griechischen Parlamentswahlen im April, die französischen Präsidentschaftswahlen im April und Mai und das Risiko von Rückschlägen auf dem Weg zu stabileren Finanzen in Europa sprechen weiter gegen zu viel Optimismus bei Peripherieländeranleihen.

Zu Beginn habe ich einen Film erwähnt. Ein beliebter Filmstoff ist auch die politische und wirtschaftliche Bedeutung von Öl − und auch für Investoren wird das schwarze Gold wieder zu einem wichtigeren Thema. Der Preis von Rohöl der Sorte Brent ist in diesem Monat auf 120 US-Dollar je Barrel gestiegen, so viel wie seit April letzten Jahres nicht mehr. Einen Gutteil davon erklären die Unruhen in Syrien und die wachsenden Spannungen zwischen Iran und Israel. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Ölpreise selbst Mitte letzten Jahres nicht sehr stark zurückgegangen sind, obwohl man sich Sorgen um die Weltwirtschaft machte. Anfang 2009 kostete das Barrel Brent hingegen weniger als 40 Dollar. In meinen jüngsten Gesprächen mit amerikanischen Volkswirten war das Risiko steigender Ölpreise ein wichtiges Thema. Es ist nicht auszuschließen, dass die Zentralbanken am Ende falsch liegen, wenn sie einen Inflationsrückgang erwarten – zumal auch der Markt für inflationsindexierte Anleihen eine andere Sprache spricht. Im letzten Monat ist die amerikanische Breakeven-Inflation deutlich gestiegen. Auf Zehnjahressicht beträgt sie jetzt 2,3%, was ich angesichts der Risiken nicht für besonders hoch halte. Aber sie liegt am oberen Ende des langfristigen Zielkorridors der Fed. Regelmäßige Leser wissen, dass ich es schon länger rate, langfristig ausgerichtete Portfolios gegen Inflationsrisiken abzusichern. Dabei bleibt es. Wenn die Break-even-Inflationsraten wieder zurückgehen, insbesondere in den USA, sollte man dies vor allem als Kaufgelegenheit ansehen.

Am Anfang habe ich über Griechenland geschrieben, am Schluss über Öl und Inflation. Der Anleihemarkt bleibt ein aufregender Cocktail aus konjunkturellen und politischen Einflüssen. Etwas für jeden.

Der Marktkommentar im pdf-Dokument.

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