Robeco: SI-Dilemma – Eine Geschichte zweier Gerichtsverfahren

Robeco: SI-Dilemma – Eine Geschichte zweier Gerichtsverfahren
Nachhaltigkeit

„Es war die beste Zeit, es war die schlimmste Zeit, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Torheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens, es war die Zeit des Lichts, es war die Zeit der Dunkelheit, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung, wir hatten alles vor uns, wir hatten nichts vor uns...“

28.02.2024 | 06:30 Uhr

Dieser paradoxe Eröffnungssatz in „Eine Geschichte aus zwei Städten" von Charles Dickens beschreibt gut meine Stimmung in letzter Zeit. Die Diskussion über Nachhaltigkeit scheint von Tag zu Tag polarisierter zu verlaufen. Zwei aktuelle Gerichtsprozesse gegen Finanzunternehmen veranschaulichen dies. Man könnte sagen, es ist eine „Geschichte von zwei Gerichtsverfahren“ geworden, was den Umgang mit dieser Situation betrifft.

Die Finanzbranche steht unter dem Druck, mehr in punkto Nachhaltigkeit zu tun

In den letzten Jahren wurden Unternehmen verklagt, weil sie keine nachhaltigen Praktiken anwandten. Direkte Effekte wie Arzneimittelabhängigkeit, Betrug und Umweltverschmutzung sind häufige Themen. Die Klage der Gruppe „Friends of the Earth Netherlands1 “ gegen Shell war auf einer anderen Ebene angesiedelt, da sie das Unternehmen für den Klimawandel verantwortlich machten.

Die Gruppe forderte, dass Shell CO2 -Emissionsziele nicht nur für Emissionen der Kategorien Scope 1 und 2 (Emissionen aus dem Betrieb), sondern auch für Emissionen der Kategorie 3 (Emissionen aus der Nutzung seiner Produkte, z.B. der Verwendung von Öl und Gas in Autos) festlegt. Unter Bezug auf die im niederländischen Recht verankerten „Sorgfaltspflicht“ entschieden die Gerichte zugunsten von Friends of the Earth.

Nun ist die Finanzbranche an der Reihe. Die NGO klagt gegen die ING Bank in den Niederlanden, weil diese Unternehmen mit unzureichenden Klimaplänen finanziert. Laut Friends of the Earth muss ING im Rahmen derselben Sorgfaltspflicht sicherstellen, dass ihre Klimapolitik mit dem 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens übereinstimmt. Dazu muss sie ihre absoluten CO2e-Emissionen bis 2030 um mindestens 43 % gegenüber dem Niveau von 2019 reduzieren.

Darüber hinaus muss ING nicht nur sicherstellen, dass alle großen Firmenkunden einen ausreichenden Klimaplan vorlegen, sondern muss auch die finanzielle Unterstützung großer Firmenkunden einstellen, die innerhalb eines Jahres keinen Plan vorweisen können. Dies gilt insbesondere für Kunden, die weiterhin im Bereich fossiler Brennstoffe expandieren oder keinen soliden Ausstiegsplan haben.

Die Finanzbranche steht unter dem Druck, weniger in punkto Nachhaltigkeit zu tun

In einem anderen Fall sind die Rollen vertauscht: ExxonMobil verklagt einen Investor und eine NGO. Der Ölgigant reichte in Texas eine Klage gegen die Aktionärsinitiative „Follow This“ und Arjuna Capital, einen Investmentmanager aus Massachusetts, ein. Dies fand statt, nachdem Exxon in einem Aktionärsantrag aufgefordert worden war, dieselbe Art von Zielen zur Reduktion der Scope 3-Emissionen festzulegen, welche Shell von dem niederländischen Gericht aufgetragen worden waren.

Exxon beantragte den Ausschluss des Aktionärsantrags aus dem Proxy Statement, da er „eine Angelegenheit im Zusammenhang mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit des Unternehmens“ betreffe und sich auf dasselbe Thema beziehe, das bereits 2023 und 2022 Gegenstand eines Antrags war. Das Unternehmen behauptete, der Vorschlag entspreche nicht den Wiedervorlagekriterien der SEC und „ziele nicht darauf ab, den wirtschaftlichen Erfolg von Exxon Mobil zu verbessern oder Mehrwert für die Aktionäre zu schaffen“. Der Einspruch war erfolgreich, da die Resolution zurückgezogen wurde, doch Exxon setzt die Klage fort.

Nicht länger nur „nice to have“

Unabhängig vom Ausgang des Gerichtsverfahrens gegen die ING Bank scheint zumindest in den Niederlanden eine gute Klimapolitik, die auch Scope-3-Emissionen abdeckt, nicht mehr nur „nice to have“ zu sein.

Unabhängig vom Ausgang der Klage gegen „Follow this“ und Arjuna könnte die Praxis, die SEC zu umgehen und direkt über ein Gericht zu klagen, Aktionäre davon abhalten, ihre Rechte wahrzunehmen.

ESG-Themen haben in den letzten zwei Jahren zunehmend an politischer Brisanz gewonnen. Die Klärung von Aktionärsfällen vor Gericht könnte die Debatte über ohnehin schon heikle Themen weiter anheizen. Auch wenn dies schon früher vorgekommen ist, zeugt es von schlechter Governance.

Jenseits der Gerichte

Oberflächlich betrachtet könnten sich die ESG-Erwartungen an Portfoliounternehmen in Europa und in den USA eher weiter voneinander entfernen als annähern. In Wirklichkeit zeigt eine aktuelle ESG-Umfrage von Cerulli2 unter institutionellen US-Anlegern ein anderes Bild. Laut dieser Umfrage beziehen 68 % der institutionellen US-Anleger wesentliche ESG-Aspekte in ihren Prozess zur Anlageentscheidung ein. Wichtig ist zu erwähnen, dass diese ESG-Integration aus rein finanziellen Gründen erfolgt („monetärer Faktor“), sodass dies nicht bedeutet, dass die Portfolios nachhaltiger werden. Es geht dabei um eine bessere preisliche Berücksichtigung externer Effekte.

Auf die Frage nach den Auswirkungen der Anti-ESG-Tendenzen gaben 40 % der Befragten an, dass sie ESG weiterhin integrieren und in Nachhaltigkeits- und Impact-Strategien investieren würden. 30 % gaben außerdem an, dass dies keine Auswirkungen auf ihr Geschäft haben würde. Kein Teilnehmer wählte „Wir werden ESG-Überlegungen nicht mehr in Anlageentscheidungen einbeziehen“ oder „Wir werden keine ESG-/nachhaltigen Anlageprodukte mehr anbieten“.

Was „Active Ownership“ betrifft, bezeichnen sich fast die Hälfte der befragten Institutionen (46 %) als aktive Eigentümer. Weitere 33 % planen, dies in den nächsten 24 Monaten zu werden. Von diesen stehen 69 % mit den Managementteams der Unternehmen in ihren Portfolios zu ESG-bezogenen Themen im Dialog. Weitere 20 % planen, ihre Bemühungen durch eine Reihe von Methoden zu erweitern: Aktionärsanträge (31 %), gemeinsame Engagements (30 %) und Stimmrechtsvertretung (25 %). Hoffen wir, dass diese Investoren es ernst meinen. Denn institutionelle Anleger, die versuchen, von den Aktionärsrechten Gebrauch zu machen, sollten sich nun der Möglichkeit rechtlicher Schritte bewusst sein.

Was sich geändert hat, ist die Tatsache, dass institutionelle Anleger bei ihrer Kommunikation über nachhaltige Investitionen vorsichtiger werden. Nach Greenwashing wird „Greenhushing“ jetzt zum Thema. Wir sind daher der Meinung, dass die Anti-ESG-Tendenzen in den USA nicht unterschätzt werden sollten. Es wird erst noch schlimmer werden, bevor es besser wird.

Bei Robeco wird nachhaltiges Investieren weiterhin eine wichtige strategische Säule unserer Strategie bleiben. Wie Charles Dickens es so elegant ausgedrückt hat, ist Nachhaltigkeit komplex und kann zuweilen paradox sein. Deshalb werden wir an unserem researchbasierten Ansatz bei der ESG-Integration und im Bereich Sustainable Investments festhalten, um unsere Kunden bei der Erreichung ihrer Nachhaltigkeits- und Finanzziele zu unterstützen.

Fußnoten

1 Es handelt es sich dabei um eine niederländische Umweltschutzorganisation.
2 The Cerruli Edge: US Institutional, the ESG Edition: Q1 2024

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