• PartnerLounge
  • Bellevue Funds (Lux) SICAV
  • Metzler Asset Management
  • Comgest Deutschland GmbH
  • Capital Group
  • Robeco
  • Degroof Petercam SA
  • William Blair
  • Columbia Threadneedle Investments
  • Shareholder Value Management AG
  • DONNER & REUSCHEL AG
  • Bakersteel Capital Managers
  • ODDO BHF Asset Management
  • KanAm Grund Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH
  • Aberdeen Standard Investments
  • Pro BoutiquenFonds GmbH
  • Edmond de Rothschild Asset Management
  • iQ-FOXX Indices
  • AB Europe GmbH
  • M&G Investments
  • Morgan Stanley Investment Management
  • Carmignac
  • RBC BlueBay Asset Management
  • Pictet
  • dje Kapital AG
  • DAX----
  • ES50----
  • US30----
  • EUR/USD----
  • BRENT----
  • GOLD----

Schwellenländer-Experte: „Der Westen schläft nicht“

Professor Dr. Xuewu Gu
Finanzbranche

Xuewu Gu, Professor am Center for Global Studies an der Uni Bonn, sprach exklusiv mit FundResearch über die Entwicklung der Schwellenländer und erläutert, warum er nicht glaubt, dass es China ohne radikale Innovationen schaffen wird, sich zum Industriestaat zu entwickeln.

04.03.2015 | 06:45 Uhr von «Patrick Daum»

FundResearch: Professor Gu, Investmentexperten warnen immerzu, dass man nicht alle Schwellenländer über einen Kamm scheren dürfe. Es seien nicht „die“ Schwellenländer, sondern eine sehr heterogene Gruppe. Worin machen Sie die Unterschiede der einzelnen Staaten oder Regionen aus?

Professor Gu: Die Gruppen differenzieren sich sehr stark. Es gibt weltweit rund 200 Staaten und Gebiete, maximal 30 davon zählen zu den Emerging Markets. Diese versuchen sich von Armut zu befreien und streben Wohlstand an – nach dem Vorbild Europas und Nordamerikas. Doch auch diese 30 Staaten lassen sich nach zwei Aspekten differenzieren: Nach dem Gewicht des Wirtschaftsvolumens und nach ihrem politisch-wirtschaftlichen Einfluss. Dadurch können die Schwellenländer in drei große Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe ist die mächtigste. Das sind die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Diese Staaten kooperieren und spielen auch eine starke Rolle im G20-Forum. Die zweite Gruppe besteht aus sogenannten regionalen Mächten, die aber nicht so gut organisiert sind wie die BRICS-Staaten. Sie sind zwar in der G20 vertreten, aber ansonsten Einzelgänger. Der dritten Gruppe gehören weniger mächtige und weniger bedeutende Staaten an. In ihren Gebieten stellen sie „Schlüsselländer“ dar. Das ist die klare Mehrheit aller Schwellenländer. Die Spitze der Emerging Markets bilden aber die BRICS-Staaten und dahinter regionale Mächte, wie Argentinien, Indonesien, Mexiko, Saudi Arabien, Südkorea und die Türkei.

FundResearch: Die BRICS-Staaten sind wirtschaftlich am „erwachsensten“. Das ehemals so enorm starke Wachstum geht langsam zurück. 

Professor Gu: Ja, das Wachstum der BRICS-Staaten geht langsam zurück. Das dürfte jedoch nicht mehr für Indien gvelten. Das Land hat die größte Perspektive, das Wachstum  noch weiter anzukurbeln – über sieben oder acht Prozent hinaus. China hat leichte Probleme mit dem zweistelligen Wachstum. Aber 6,5 bis sieben Prozent sollten es in den kommenden Jahren auch weiterhin bleiben. Die anderen drei Länder stehen vor größeren Herausforderungen. Russland ist ein Sonderfall. Südafrika hat Probleme sich anzupassen. Das Land liegt derzeit auf dem Niveau von zwei bis drei, maximal vier Prozent, wenn es um Wachstum geht. Von daher muss man auch unter den BRICS stark differenzieren. Meiner Analyse zufolge, sollte man Indien und China nicht abschreiben. Diese beiden Staaten werden in den kommenden Jahren der Motor des Weltwirtschaftswachstums bleiben. 

FundResearch: Dann lassen uns bei China bleiben. Das Wirtschaftswachstum liegt bei rund sieben Prozent, das Land gehört zu den weltweit führenden Wirtschaftsmächten und auch der politische Einfluss nimmt immer mehr zu. Ist es nicht eigentlich ein Witz, China noch als „Schwellenland“ zu bezeichnen? Ist es nicht längst in der Riege der entwickelten Volkswirtschaften angekommen?

Professor Gu: Nein, das glaube ich nicht. Ein Trugbild narrt das Land. Aber um Ihre Frage zu beantworten, ist es wichtig zu definieren, was Schwellenländer eigentlich ausmacht.

FundResearch: Und das wäre?

Professor Gu: Ein Schwellenland ist ein Land, das sich noch nicht 100 prozentig von der Armut verabschiedet hat und gleichzeitig noch nicht den Wohlstand erreicht hat, den es in Westeuropa und Nordamerika gibt. Es gibt maximal 15 Länder in der Welt, die als sogenannte „Industriestaaten“ bezeichnet werden können. Also Länder, die ein pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von mehr als 30.000 US-Dollar erreicht haben. Davon ist China weit entfernt. Das pro-Kopf-BIP liegt bei etwa 10.000 US-Dollar. Da ist noch ein langer Weg zu gehen. Vom Volumen her ist China stark, nicht aber beim Thema Wohlstand, beim individuellen Lebensstandard. 

FundResearch: Dem prominenten peruanischen Volkswirt Hernando de Soto zufolge hat China in den vergangenen 18 Jahren erkannt, dass die Planwirtschaft nicht funktioniert. Stattdessen wurde ein Unternehmertum aufgebaut und Armut erfolgreich bekämpft.

Professor Gu: Das stimmt. Aber es ist noch nicht genug. Es gibt mindestens noch 100 Millionen Menschen in China, die dem UNO-Standard zufolge unterhalb der Armutsgrenze leben. Solange China es nicht schafft, diese 100 Millionen Menschen von Armut zu befreien, kann man das Land nicht als Industriestaat bezeichnen. China wird sich immer auf einem Niveau bewegen, das nur der Hälfte dessen in Westeuropa oder Nordamerika entspricht. Ich habe wirklich meine Zweifel, dass die Chinesen das ändern werden. Das hat insbesondere technologische Gründe.

FundResearch: Dann stellt sich für Sie nicht die Frage, wann China zum Industriestaat aufsteigt, sondern ob es überhaupt gelingt?

Professor Gu: Absolut. Es ist alles andere als sicher, dass China das jemals ohne radikale Innovationen schaffen wird. Der Rückgang des Wirtschaftswachstums hat auch damit zu tun. Die Regierung hat erkannt, dass sich das starke, aber grobe Wachstum schädigend auf die Lebensqualität der Menschen auswirkt. Viel wichtiger ist die Qualität des Wachstums, die für einen dauerhaften Wohlstand sorgt. Dahinter steht auch die neue Philosophie, die sich in China durchgesetzt hat, lieber langsamer zu wachsen, dafür aber qualitativer. 

FundResearch: Sieben Prozent Wachstum sind aber vergleichsweise immer noch sehr viel.

Professor Gu: Natürlich ist das im Vergleich zu anderen Staaten viel. Diese sieben Prozent Wachstum bedeuten, dass China jedes Jahr so viel produziert, wie die Schweiz und die Niederlande. China hat ein BIP-Volumen von etwa zehn Billionen US-Dollar. Sieben Prozent pro Jahr heißt 700 Milliarden US-Dollar. In der ganzen Welt gibt es nur knapp 20 Staaten, die dieses Niveau erreichen. Von daher ist China natürlich mächtig. Aber auf der anderen Seite steht nun mal die Armut.

FundResearch: Die Schwellenländer waren im Jahr 2013 einer schweren Währungskrise ausgesetzt, von der sie sich im vergangenen Jahr wieder erholen konnten. Wo sehen sie aktuell die größten Risiken bei Investments in Schwellenländern?

Professor Gu: In einer Kapitalflucht. Wenn die US-Notenbank die quantitative Lockerung im dritten Quartal oder spätestens Ende dieses Jahres beendet, dann wird es zu einer massiven Kapitalflucht aus den Schwellenländern kommen. Um diese Gefahr zu relativieren, müssten die Schwellenländer ihre Währungen abwerten. Die Abwertung der eigenen Währung könnte zu Inflation und sozialen Problemen führen. Viele Projekte in den Schwellenländern werden durch Fremdkapital finanziert. Wenn das abgezogen wird, müssten etliche dieser Projekte beendet und Unternehmen geschlossen werden. Da sehe ich ein riesiges Problem. 

FundResearch: Sind davon bestimmte Regionen besonders getroffen oder besteht diese Gefahr in allen Schwellenländern?

Professor Gu: Auch hier muss man differenzieren. Länder, die über ausreichende Devisenreserven verfügen, haben das Potenzial, diese Auswirkungen zu begrenzen. Staaten hingegen, die auf Devisen angewiesen sind, dürften erhebliche Probleme kriegen. Das gilt beispielsweise für Südafrika, die Türkei oder Russland. Für Indien hingegen gar nicht, da ein außerordentlicher Kapitalzufluss im Rahmen ausländischer Direktinvestitionen ins Land zu erwarten ist. 

FundResearch: Und wo sehen Sie die Vorteile der Schwellenländer? Warum lohnt es sich, dort zu investieren?

Professor Gu: Für Wachstum sind verschiedene Faktoren wichtig: Eine junge Bevölkerung, weil die demografische Entwicklung alle drei Kernelemente der Produktion – Arbeitskraft, Kapital und Technologie – betrifft und beeinflussen kann. Die junge Bevölkerung hat den Vorteil, dass ausreichend und günstige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Eine überalterte Gesellschaft benötigt von staatlicher Seite viel Geld, um die Bevölkerung zu ernähren und für sie die notwendige Infrastruktur für medizinische und gesundheitliche Versorgung zur Verfügung zu stellen. Das bremst die Entwicklung der Wirtschaft. Auch unter dem technologischen Aspekt ist es so, dass von einer überalterten Gesellschaft nicht viel zu erwarten ist. Ältere Menschen sind eher konservativ und wenig innovativ. Technologien entwickeln sich meistens von jüngeren Leuten. Daher ist die demografische Entwicklung ein großer Vorteil der Schwellenländer und genauso die Reformfähigkeit. In Industriestaaten ist die Umsetzung von Reformen schwierig. Frankreich steht beispielsweise 20 Jahre hinter Deutschland, weil die Arbeitsmarktreformen nicht durchgesetzt werden können. Schwellenländer sind meistens autoritär regiert. Da lassen sich Reformen besser nach dem Top-Down-Prinzip umsetzen. Natürlich auf Kosten der individuellen Freiheit. Darüber hinaus gibt es mit Blick auf die Schwellenländer auch Preisvorteile. 

FundResearch: Im vergangenen Jahr fanden in einigen – vor allem großen – Schwellenländern Wahlen statt. Am prominentesten waren sicherlich die Wahlen in Indien, bei denen Narendra Modi gewonnen hat. Seitdem ist Indien zurück in der Erfolgsspur. Wie schätzen Sie die Wahl Modis ein? Welchen Weg geht Indien unter ihm?

Professor Gu: Ich bin kein großer Fan von Modi. Aber nüchtern betrachtet denke ich, dass man unter seiner Führung viel von Indien erwarten kann. Er ist durchaus ein Glücksfall für das Land. Es ist erstaunlich, dass er innerhalb von wenigen Monaten alle großen Mächte zu sich geholt hat und mit ihnen bedeutende geostrategische Deals ausgehandelt hat. Er war in den USA und Japan, der chinesische und der russische Präsident waren bei ihm. Das heißt, Modi hat verstanden, Indien in Kooperation mit den Großmächten weiterzuentwickeln. Das funktioniert nur, wenn man fremdes Kapital ins Land holt. Indien hatte in den vergangenen 20 Jahren im Vergleich zu China erhebliche Probleme, direkte Investitionen aus dem Ausland zu bekommen. Jetzt sieht es danach aus, dass Indien in diesem und im nächsten Jahr jeweils mindestens 40 Milliarden US-Dollar einsammeln könnte. Innenpolitisch hat Modi angekündigt, Liberalisierungsmaßnahmen einzuführen. Das würde auch bedeuten, dass die alten sozialistischen Strukturen in Indien teilweise überwunden werden könnten und Infrastruktur aufgebaut wird. Das dürfte wiederum die wirtschaftliche Entwicklung weiter vorantreiben. Modi ist also nicht nur ein Hoffnungsträger für die indische Bevölkerung, sondern auch für alle Länder, die gerne in Schwellenländern investieren möchten.

FundResearch: Glauben Sie, dass Indien sich zu einem Industriestaat entwickeln wird?

Professor Gu: Nein, das glaube ich nicht. Wachstum gibt es natürlich genug. Aber auch in Indien ist die Armut das große Problem. Die Armut wird trotz Wachstum bleiben. Die politisch-wirtschaftliche Elite des Landes hat kein Interesse daran, dass es der unteren Bevölkerungsschicht besser geht. Sie treibt nur die Motivation an, den Wohlstand der Bildungselite auf Weltniveau zu bringen. Gleichzeitig ist sie sehr nationalistisch und ambitioniert, Indien anzukurbeln und in die Weltspitze zu entwickeln. Aber Indien von dem Status eines Entwicklungslandes zu befreien, davon ist das Land weit entfernt. Wachstum wird es natürlich weiterhin geben. Das ist allerdings nicht damit gleichzusetzen, den Status eines Schwellenlandes hinter sich zu lassen. Das gilt meiner Meinung übrigens für alle Emerging Markets. Keiner dieser Staaten wird jemals ohne radikale Innovation ein Industriestaat werden.

FundResearch: Auf ewig Schwellenländer?

Professor Gu: Ja, sie werden Schwellenländer bleiben, wenn sie technologisch nur imitieren. Zumindest, so lange sie den technologischen Vorsprung des Westens nicht überwinden können. Wertschöpfung findet nur dort statt, wo eine Industrie vorhanden ist, die über die Kerntechnologien zur Produktion von lebenswichtigen Produkten verfügt. Und die gibt es in den Schwellenländern nicht.

FundResearch: Aber zumindest in China wächst dieser Sektor doch immer stärker, oder nicht?

Professor Gu: Ja, aber der Westen schläft nicht. China kann es schaffen, durch Innovation oder Imitation, neue Produkte zu entwickeln. Aber man weiß natürlich nicht, wo die USA und Deutschland in zehn Jahren stehen. Es ist kein Geheimnis, dass die westlichen Industriestaaten ihre Technologie nur in solchen Schwellenländern produzieren lassen möchten, die in zehn oder 15 Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig sind. In den Schubladen der westlichen Staaten liegen Ideen, von denen man nichts weiß. Deshalb müssen die Chinesen deutlich innovativer sein. Es sei denn, sie können plötzlich Produkte für Marktsegmente entwickeln, die absolut neu sind. Die dann im Sinne von Schumpeters „schöpferischer Zerstörung“ alte Marktstrukturen zerschlagen und neue entstehen lassen. Dann hat China gute Chancen. Aber davon sind die Chinesen weit entfernt.

FundResearch: Auch in Brasilien wurde im vergangenen Jahr gewählt. Präsidentin Dilma Russuf wurde im Amt bestätigt. Was erwarten Sie von Brasilien? Werden Reformen dort angepackt? Ganz Südamerika hängt schließlich von der Entwicklung Brasiliens ab.

Professor Gu: Das ist wahr. Südamerika hat das Problem, dass es einerseits im Schatten der USA lebt und sich andererseits immer noch nicht vom Status des Rohstofflieferanten befreit hat. Rohstofflieferung ist die einzige Visitenkarte für lateinamerikanische Länder, mit der sie sich an der Globalisierung beteiligen.  Es ist derzeit wegen der fallenden Rohstoffpreise eine schwierige Phase. Diese Entwicklung ist nicht unbedingt günstig für Lateinamerika. Von daher glaube ich, dass Brasilien Probleme bekommen wird – trotz Reformwillen und Reformdurchsetzungsfähigkeit. Aber auf globaler Ebene wird es schwierig für Brasilien.

FundResearch: Rechnen Sie mit einem Anziehen der Rohstoffpreise in absehbarer Zeit?

Professor Gu: Nein, eher nicht. Japan ist krank, in China verlangsamt sich das Wachstum. Europa ist immer noch nicht ganz raus aus der Krise. Nur in den USA sieht es ein bisschen rosig aus. Wie dauerhaft das Wachstum dort ist, weiß aber auch niemand. Das heißt: Die globalen Rahmenbedingungen für rasantes Wachstum in den Schwellenländern sind nicht vorhanden. Daher sinkt auch die Nachfrage nach Rohstoffen. Davon leben aber viele Schwellenländer. Mittelfristig rechne ich zwar mit stabil bleibenden Rohstoffpreisen, aber nicht mit einem Anstieg. Es sei denn, die Finanzwelt mischt noch intensiver mit. Denn die Rohstoffpriese sind nicht nur ein Spiel zwischen Angebot und Nachfrage. Wenn es so wäre, wäre es viel einfacher. Dazwischen sind  viele Institutionen am Spiel beteiligt – Banken und Investmentfonds beispielsweise. Mit ihrer großen Finanzmacht können sie den Preis manipulieren und beeinflussen. 

FundResearch: Russland haben sie eingangs als Spezialfall bezeichnet. Der Ukraine-Krieg ist in vollem Gange – wenn auch derzeit mit Waffenruhe, Russland ist vom Westen sanktioniert worden und die Wirtschaft leidet unter diesen Sanktionen. Wie ist Ihr Ausblick für Russland? 

Professor Gu: Solange Wladimir Putin Präsident von Russland ist, hat das Land keine reale Perspektive sich an den Mainstream der Globalisierung anzuschließen. Ich habe Verständnis für das Verhalten Putins. Er ist natürlich enttäuscht von der westlichen Politik gegenüber Russland. Und natürlich ist er durch die unendliche Ostexpansion der NATO genervt. Putin ist enttäuscht von den Signalen, die aus Washington Richtung Moskau gesendet werden. Russland hat ein Problem, sich vom Status einer Supermacht auf einen BRICS-Staaten-Status zu degradieren. Es ist eine Zumutung für eine ehemalige Supermacht, sich in eine Gruppe mit Südafrika einzureihen. Diese Kränkung zu beseitigen, dauert ein bisschen. Und genau das ist Putins Job. Das geht allerdings auf Kosten der Globalisierungsanschlussfähigkeit des Landes. Russland hat drei Probleme: Finanziell ist es abhängig von westlichen Investitionen. Technologisch hat Russland mit Ausnahme von Militärtechnologie nichts anzubieten. Außerdem sind die Wirtschaftsstrukturen einseitig und fokussiert auf Energieressourcen – deren Preise gesunken sind. Aus diesen drei Gründen glaube ich, dass Russland geowirtschaftlich keine Chance hat, sich in den kommenden Jahren zu erholen. Dieser neue „Kalte Krieg“ ist nicht von heute auf morgen zu beseitigen. Russland hat zwar die Krim gewonnen, aber die Ukraine und den ganzen Westen verloren. Das ist der Preis, den Moskau bezahlen muss. Putin scheint dazu aber offensichtlich bereit zu sein. Mal sehen, wie lange er das durchhalten kann.

FundResearch: Sähe das bei einem neuen Präsidenten anders aus?

Professor Gu: Naja, das Problem ist, dass keine verantwortliche Regierung in Russland bereit wäre, die Krim wieder rauszurücken. Aber vom Westen zu erwarten, die Einverleibung der Halbinsel zu akzeptieren, ist ebenfalls eine Zumutung. Bei allem Respekt um die Versöhnungsversuche Deutschlands und Frankreichs: Solange Washington nicht mitspielt, kann man das vergessen. 

FundResearch: Sie haben als ein Problem Russlands die fallenden Ölpreise ausgemacht. Ist es Zufall, dass die Öl- und Energiepreise genau in dem Moment fielen, in dem die Krise in der Ukraine so richtig ausbrach? Wenn man bedenkt, dass die USA und Saudi Arabien – ein Verbündeter der USA – als größte Ölexporteure natürlich auch ein Interesse daran haben könnten, Russland ausbluten zu lassen. Wollen die Amerikaner vielleicht den sinkenden Ölpreis, um Russland richtig hart zu treffen?

Professor Gu: Mit Blick auf Russland sind die sinkenden Ölpreise aus meiner Sicht ein Zufall. Ich sehe eher die Konkurrenz zwischen den USA und Saudi Arabien als Grund. Dabei geht es um den Marktanteil. Man kann es sogar zuspitzen auf die Konkurrenz zwischen neuer Technologie und klassischer Ölproduktionstechnologie. Saudi Arabien ist nicht bereit, die neue Fracking-Technologie auf Kosten eigener Marktanteile zu akzeptieren. Die einzige Möglichkeit, den Erfolg des Frackings zu verhindern und damit den Marktanteil der OPEC-Länder aufrecht zu erhalten, ist, die US-Unternehmen zu zwingen, auf ihre Produktion zu verzichten. Das funktioniert aber nur, wenn der Preis für Öl so niedrig ist, dass sich die Förderung durch Fracking nicht mehr lohnt. Und das ist meiner Ansicht nach eine marktwirtschaftliche Entwicklung. Dass gerade zu diesem Zeitpunkt die Ukraine-Krise ausgebrochen ist, verstärkt natürlich die Auswirkungen. Entscheidend aber ist die Frage, wer in Zukunft die erste Geige bei der Ölpreisbestimmung und den Marktanteilen spielt: Die USA oder Saudi Arabien? 

FundResearch: Was glauben Sie?

Professor Gu: Schwierig… Langfristig hat Saudi Arabien natürlich den Vorteil, dass dort auch bei einem Ölpreis von 20 US-Dollar eine rentable Produktion möglich ist. Das ist in den USA durch Fracking nicht machbar. Deshalb muss man abwarten, wer den längeren Atem hat. Das kann man heute noch nicht sagen.

Professor Dr. Xuewu Gu ist seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und Direktor des Centers for Global Studies an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seit 2006 ist zudem Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft Deutsche Professoren Chinesischer Herkunft. Geboren in China, studiert in Wuhan und Köln, promoviert in Bonn und habilitiert in Freiburg, gilt Gu als einer der führenden Experten für Wirtschaft, Energie, Politik und Kultur Chinas. 

(PD)

Diesen Beitrag teilen: