"Der europäische Währungshüter trägt – wie auch alle anderen G4-Zentralbanken – der stagnierenden Konjunkturentwicklung im Nachgang der Krise Rechnung", sagt Willem Verhagen, Volkswirt bei ING IM.
26.01.2015 | 11:26 Uhr
Die EZB-Entscheidung ist als Teil eines tiefgreifenden geldpolitischen Umschwungs zu verstehen. Damit trägt der europäische Währungshüter – wie auch alle anderen G4-Zentralbanken – der stagnierenden Konjunkturentwicklung im Nachgang der Krise Rechnung. Da die EZB aber sehr viel stärkeren politischen und institutionellen Zwängen unterworfen ist als ihre Pendants in anderen Ländern, vollzog sich die geldpolitische Lockerung in der Eurozone deutlich langsamer.
Trotz dieser Zwänge ist die EZB in puncto QE anscheinend noch einen Schritt weiter gegangen. Die größte positive Überraschung besteht darin, dass das EZB-Anleiheankaufprogramm eher dem unbefristeten QE3-Programm der Fed bzw. dem QQE (Qualitative and Quantitative Easing) der Bank of Japan entspricht als den Fed-Vorläuferprogrammen QE1 und QE2.
Jeden Monat wird die EZB Staatsanleihen im Wert von mindestens 60 Milliarden Euro aufkaufen, und zwar mindestens bis September 2016, doch in jedem Fall bis eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung eintritt, die mit dem Inflationsziel der EZB vereinbar ist. Letztere Vorgabe ist so vage, dass dieser Punkt irgendwann wieder zur Diskussion stehen wird. Doch fürs Erste lautet die Hauptbotschaft: Die Bilanz der EZB wird sich in den nächsten beiden Jahren stärker aufblähen, als die Märkte bislang eingepreist haben.
Eines der umstrittensten Themen ist dabei, inwieweit das Kreditrisiko gemeinsam getragen wird oder in den Bilanzen der einzelstaatlichen Zentralbanken verbleibt. In gewissem Maße ist diese Frage aber wohl rein akademisch. Sofern die Risiken der nationalen Zentralbanken vollständig gemeinsam getragen werden (und das ist nun mal der Kern einer Währungsunion), dann muss das letztlich auch für die Gewinne gelten. Eine Ausnahme besteht allerdings, falls die EZB auf einer Rekapitalisierung der infolge der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners entstandenen Verluste besteht. Das entspricht sozusagen einer nachträglichen Beanspruchung von Vorrang. In diesem Fall macht es einen großen Unterschied, ob die Kosten der Rekapitalisierung von allen EWU-Ländern getragen werden oder ob das zahlungsunfähige Land allein dafür verantwortlich ist.
Davon abgesehen würde ein Verzicht auf das gemeinsame Schultern der Risiken ein negatives Signal senden. Ein solcher Verzicht könnte nämlich als Rückschritt auf dem Weg zu einer Fiskalunion verstanden werden. Nach unserer Einschätzung wäre das Thema Rekapitalisierung nur dann relevant, falls ein großes Land Staatsbankrott anmelden würde. Bislang ist dies nur ein Extremrisiko, das an der Peripherie durch den Rückgang der effektiven Zinssätze und freundlichere Wachstumsaussichten – dank zusätzlicher geldpolitischer Lockerung – gesunken ist.
Im Übrigen wird der zwiespältige Effekt für die Risikozuschläge auf Staatsanleihen von der Euro-Peripherie wahrscheinlich durch den Rückgang der Laufzeitprämien auf diese Papiere wettgemacht, die ihrerseits durch den Rückkauf in großem Stil bedingt sind.
Alles in allem hat die EZB unserer Auffassung nach wiederum unter Beweis gestellt, dass sie bereit ist, auch im Hinblick auf ihr Preisstabilitätsziel alles in ihrer Macht Stehende zu tun. Ob das reichen wird, um die Inflationserwartungen wieder mit dem Inflationsziel zu synchronisieren, bleibt abzuwarten. Positiv ist indes zu vermerken, dass der die Inflationserwartungen treibende Effekt der QE auch mit einem schwächeren Euro, steigender Zuversicht bei Verbrauchern und Unternehmen sowie einer Stabilisierung des Kreditgeschäfts einhergeht. Andererseits könnten die tatsächlichen Inflationsraten in diesem Jahr noch größtenteils negativ bleiben. So dürfte die anhaltende Stagnation Kerninflation und Lohnwachstum bis auf Weiteres deckeln.
Zumindest sind wir jetzt zuversichtlicher, dass die EZB tatsächlich bereit sein wird, das Tempo der Lockerung notfalls zu beschleunigen. Unser Basisszenario geht davon aus, dass das gegenwärtige Tempo der Anleihekäufe bis weit ins Jahr 2017 anhalten und der Leitzins mindestens bis 2018 auf dem aktuellen Niveau verharren wird. Im Rahmen dieses Szenarios bestehen die Risiken in erster Linie in einer unerwartet starken Lockerung.
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