NN IP: Brasilien und die Korruption

Was die Wirtschaftspolitik betrifft, hätte Präsidentin Rousseff in den letzten sechs Jahren kaum mehr Schaden anrichten können. Dennoch wäre es besser gewesen, wenn sie nicht ihres Amtes enthoben worden wäre. Zwar hätten Reformen dann kaum eine Chance gehabt und es hätte zu einer Schuldenkrise kommen können, doch langfristig wäre das wohl weniger schädlich gewesen als die Amtsenthebung.

24.05.2016 | 09:49 Uhr

Nach den Wahlen 2018 hätte Brasilien mit einer demokratisch gewählten Regierung neu durchstarten und die notwendigen Reformen umsetzen können. 

Nun hat das Land eine neue Regierung, die nicht demokratisch gewählt wurde und daher wenig Unterstützung in der Bevölkerung findet. Doch wird diese Regierung drastische Maßnahmen ergreifen müssen, die die meisten Brasilianer betreffen werden. Unter dem Deckmantel des rechtmäßigen Kampfs gegen die Korruption wurde Rousseff, der weder Bestechlichkeit noch Veruntreuung öffentlicher Mittel nachgewiesen werden konnte, von Männern ihres Amtes enthoben, denen selbst Korruption vorgeworfen wird. Das ist gleichsam ein Rezept für politische Instabilität und vor allem soziale Unruhen. Damit muss sich Brasiliens junge Demokratie in einer existenziellen Krise bewähren, die ihren Höhepunkt vermutlich noch gar nicht erreicht hat.

Die Finanzmärkte sehen die brasilianische Krise sehr differenziert. Investoren denken kurzfristig. Relevant sind jetzt nur die Aussichten für Reform und Sparpolitik. Die Zusammensetzung der Übergangsregierung von Michel Temer und die Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen geben gerade brasilianischen Investoren Anlass zur Zuversicht, dass man das Haushaltsdefizit zügig angehen wird. Damit bestünde die reelle Chance, dass Investitionsklima und Unternehmervertrauen wiederhergestellt und die Rezession überwunden werden kann. Es ist indes fraglich, ob die neue Regierung in der Lage sein wird, rasche Reformen umzusetzen. Noch ist vieles unklar: Verfügen Temer und sein Team über den politischen Willen, die größten Probleme anzugehen oder geht es ihnen darum, politische Ämter und öffentliche Aufträge zur Pflege der Vetternwirtschaft zu sichern? Wie lange wird es dauern, bis auch Temer seines Amtes enthoben wird, denn schließlich werden dem frisch gebackenen Präsidenten bereits Wahlbetrug und Bestechung vorgeworfen? Und inwieweit wird sich die Gefahr schwerer sozialer Unruhen auf die Leistungsfähigkeit der Regierung auswirken?

Derweil hält die Rezession an. Die Arbeitslosenrate ist auf über 10 Prozent angestiegen. Zahlreiche brasilianische Haushalte sind bereits in ernste finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Die Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück – nicht nur wegen der Rezession oder Kreditengpässen, sondern auch wegen der beträchtlichen politischen Unwägbarkeiten. Es ist schließlich völlig unklar, wie lange diese Regierung im Amt bleiben wird und was sie tatsächlich erreichen kann. Wer 2018 Präsident wird, steht in den Sternen. Die meisten prominenten Politiker der großen Parteien stehen im Verdacht, in einen der vielen Korruptionsskandale verwickelt zu sein, die derzeit untersucht werden. Das bedeutet, dass die Wahl eines Outsiders – also eines Kandidaten außerhalb des politischen Establishments – zum Präsidenten durchaus realistisch ist. Für die brasilianische Wirtschaftselite ist das eine beunruhigende Vorstellung, die wenig zur Investitionsbereitschaft beiträgt.

Autor: Maarten-Jan Bakkum, Globaler EM-Stratege bei NN Investment Partners, Den Haag

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