La Financière de l’Echiquier: Und jetzt?

Es steht nun eine bisher nie dagewesene Phase an, in der die US-amerikanische und die europäische Geldpolitik sich radikal unterscheiden. Dieser Dissens hatte bereits erste absehbare Auswirkungen.

01.02.2016 | 10:28 Uhr

Die Anhebung der US-Zinsen ähnelte der Schlacht des Offiziers Drogo in Die Tartarenwüste1: Immer wieder angekündigt, viele Male erwartet, aber sie will nicht ausbrechen. Das Warten hatte am 16. Dezember ein Ende, als Janet Yellen zum ersten Mal seit 2006 die US-Leitzinsen anhob.

Gleichzeitig gibt Mario Draghi in Sachen quantitative Lockerung weiter Gas. Folglich steht nun eine bisher nie dagewesene Phase an, in der die US-amerikanische und die europäische Geldpolitik sich radikal unterscheiden. Dieser Dissens hatte bereits erste absehbare Auswirkungen: Seit seiner Erholung im Oktober auf 1,15 verlor der Euro 8 Prozent gegenüber dem US-Dollar, bevor er sich bei rund 1,09 stabilisierte. Eine Prognose darüber, was diese Divergenz für die Anleihemärkte bedeutet, ist daher umso schwieriger. Der Kurs der Staatsanleihen eines Landes (im Bereich der langfristigen Zinsen) hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: der Höhe der kurzfristigen Zinsen (0- bis 2-jährige Schuldtitel dieser Länder) und der Entwicklung der anderen Anleihemärkte. Nehmen wir an, dass die langfristigen US-Zinsen aufwärts tendieren. Wird diese Tendenz Europa erfassen? Oder werden die Effekte der quantitativen Lockerung überwiegen, sodass die langfristigen europäischen Zinsen sehr niedrig bleiben?

So formuliert, impliziert man einen Kausalzusammenhang zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Diese Verbindung wird oft hergestellt, denn es ist wahr, dass in Sachen Finanzmärkte oder dem Verbrauch von Coca-Cola und Hamburgern tatsächlich die Amerikaner die Europäer beeinflussen und nicht umgekehrt.

Zuletzt wies jedoch eine Studie des IWF eine interessante Umkehrung nach. Anhand des Granger-Tests2 wurde gezeigt, dass der US-Anleihemarkt von 2010 bis 2014 sein europäisches Pendant beeinflusste. Seit 2014 kehrt sich der Zusammenhang aber um: Die Dynamik der quantitativen Lockerung in Europa ist so stark, dass sie die US-Zinsen fallen lässt und zu einer erklärenden Schlüsselvariable dieses Marktes wird.

Heute halten sich die Strategen an ihre Roadmap 2016. Wie Elefanten sehen sie vielleicht nicht besonders gut, aber sie haben ein exzellentes Gedächtnis: Sie erinnern sich daran, dass der Spread zwischen 10-jährigen US- und 10-jährigen deutschen Renditen nie mehr als zwei Punkte betrug. Mit zurzeit 1,65 Prozent hat sich dieser Spread dem Höchstwert bereits gefährlich genähert.

Die Feststellung, dass der europäische Markt zurzeit den Rhythmus an den Staatsanleihemärkten vorgibt, mag reine Theorie sein, aber es beruhigt sehr, wenn man weiß, dass die europäischen Renditen sich dem Aufwärtsdruck der US-Zinsen – zumindest teilweise – entziehen können.

Der vollständige Beitrag als pdf-Dokument

Diesen Beitrag teilen: