LFDE: Warten ist das Gebot der Stunde

Marktkommentar

Nach einem fulminanten Monatsanfang schlossen die Aktienmärkte die vergangene Woche nahezu unverändert – eine Woche, die vor allem von einem Wort geprägt war: abwarten.

16.04.2019 | 10:48 Uhr

Abwarten insbesondere in der Brexit-Frage. Trotz der Skepsis Frankreichs beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, dem Vereinigten Königreich eine flexible Verschiebung des Brexit-Termins zu gewähren. Während der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, eine Verschiebung um bis zu zwölf Monate vorgeschlagen hatte, einigte man sich schließlich auf eine Frist von höchstens sechs Monaten, d. h. bis zum 31. Oktober 2019. Die einzige von der EU verlangte Gegenleistung ist die Teilnahme des Vereinigten Königreichs an der Europawahl. Somit bleiben drei Szenarien: eine Annahme des im letzten November vereinbarten Abkommens ohne Neuverhandlung, ein Rücktritt von Artikel 50 und somit der Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU oder ein harter Brexit am 31. Oktober.

Diese Verschiebung, die nach Donald Tusks Vorschlag aus der Vorwoche erwartet worden war, verhindert zwar, sich von Stichtag zu Stichtag zu hangeln, erlaubt jedoch auch keine deutlichen Fortschritte. Abwarten auch seitens der EZB. Nach der letzten Sitzung der Zentralbank am Mittwoch zeigte ihr Präsident eine verbale Zurückhaltung, die fast einer Stilübung gleichkam. Während die Anleger auf nähere Erläuterungen zu den neuen längerfristigen Refinanzierungsgeschäften für Banken (TLTRO 3) gehofft hatten, begnügte sich Mario Draghi hinsichtlich ihrer Modalitäten mit einem Verweis auf die nächste Sitzung. Zudem sagte er, dass diese von der Entwicklung der Kreditvergabe im Privatsektor und den Wirtschaftsaussichten abhängen. Nichts Neues also. Auch die in der Presse zuvor diskutierte Maßnahme zum Ausgleich der unheilvollen Auswirkungen der Negativzinsen auf den Bankensektor wurde nicht weiter erörtert. Mario Draghi setzte sogar alles daran, das Wort „Tiering“ nicht auszusprechen, das für die Möglichkeit steht, die Banken von der Zahlung eines Zinssatzes von 0,40 Prozent pro Jahr an die EZB auf einen Teil ihrer überschüssigen Liquidität zu befreien.

Wie er selbst bekräftigte, stand bei dieser Sitzung demnach die Analyse der Wirtschaftsaussichten im Mittelpunkt, und nicht irgendeine zu treffende Entscheidung. Mit anderen Worten hält die EZB eine Konjunkturerholung im zweiten Quartal für möglich und bleibt geduldig, bevor sie einen noch lockereren Kurs einschlägt. Abwarten schließlich auch seitens der Märkte. Die Woche geizte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, bei der (Geo-)Politik und bei den Zentralbanken nicht mit Nachrichten. Allerdings gibt die Berichtssaison der Unternehmen, die am Freitag mit den Ergebnismeldungen der US-Banken JP Morgan und Wells Fargo begann, Anlass zu einer gewissen Vorsicht. Einerseits wurden die Erwartungen für den Gewinn je Aktie in den vergangenen Wochen deutlich nach unten korrigiert. Andererseits versuchen die Anleger, in den Berichten der US-Banken, die den Reigen der Ergebnismeldungen für das erste Quartal eröffnen, Hinweise auf Rezessionsgefahren in den USA und insbesondere auf Risiken bei den Kreditausfallquoten (vor allem im Konsumsektor) zu erkennen.

Ein generelles, doch wenig überraschendes Abwarten also, während fast alle großen Aktienindizes weltweit seit Jahresbeginn zweistellige Zuwächse verzeichnen.

Von Olivier de Berranger, Chief Investment Officer und Enguerrand Artaz, Fondsmanager La Financière de L‘Echiquier

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