Janus Henderson Investors: Droht an den Kreditmärkten eine Solvenzkrise?

Janus Henderson Investors: Droht an den Kreditmärkten eine Solvenzkrise?
Kapitalmärkte

Jenna Barnard, mitverantwortliche Leiterin der Strategic Fixed Income Strategie, und Portfoliomanager Nick Ware widersprechen den Pessimisten, die eine Solvenzkrise an den Kreditmärkten prognostizieren, indem sie erklären, dass Liquidität Solvenz bedeutet.

02.11.2020 | 08:05 Uhr

Zentrale Erkenntnisse

  • Die Ausfälle bei Hochzinsanleihen werden in der Spitze voraussichtlich unter dem üblichen Rezessionsniveau liegen, da die hohe Liquidität und die Konjunkturpakete den Unternehmen Zeit verschafft haben, um die coronabedingten Probleme zu bewältigen.
  • Die Unternehmen hatten weitgehend ungehinderten Zugang zu den Kapitalmärkten, sowohl zu den Anleihe- als auch zu den Aktienmärkten. Kombiniert mit taktischer Selbsthilfe sind sie so für die Krise gerüstet. In Bereichen, die bereits vor der Krise strukturell unter Druck standen, dürfte es dagegen eng werden.
  • Das Kreditrisiko ist zwar gestiegen, doch ein großer Teil des beschafften Kapitals steckt in den Bilanzen. Die voraussichtliche Phase der Entschuldung und der Gewinnerholung könnte 2021-22 eine Verringerung des Risikos bescheren.


Dies ist unser vierter Artikel, seit wir in der COVID-Krise (März 2020) die Kreditmärkte strukturell wieder optimistisch einschätzen. Unsere Einschätzungen zu den von uns diskutierten Themen, bei denen es um die außergewöhnlich niedrigen Ausfallraten gemessen am Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die COVID-Krise als Treiber für rekordtiefe Renditen am US-Investment-Grade-Markt ging, entsprachen nicht dem Konsens, sind aber inzwischen Realität. Nun wollen wir uns mit dem letzten Argument der Pessimisten unter den „Makrotouristen“1 befassen. Demzufolge stehen die Kreditmärkte, nachdem die Liquiditätsprobleme gelöst sind, vor einer Solvenzkrise, in der eine Welle von Ausfällen auf sie zurollt, bei denen Unternehmen ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Wir teilen diese Einschätzung nicht, da wir der Meinung sind, dass an den öffentlichen Kreditmärkten (die sich auf größere Unternehmen konzentrieren, nicht auf die kleinen Unternehmen in Ihrer Hauptgeschäftsstraße) Liquidität gleich Solvenz ist.

Zahlreiche Pessimisten sind der Ansicht, dass die COVID-19-Krise angesichts der Kombination aus Rekordverschuldung von Unternehmen und schwerster Rezession in der jüngeren Geschichte einen immensen Ausfallzyklus bewirken wird. Das baut auf dem unseres Erachtens irreführenden Narrativ von der exzessiven Verschuldung von BBB-Emittenten aus ähnlichen Quellen in den letzten Jahren auf.

In der Realität hat sich dies bisher nicht bestätigt: Die Ausfälle im europäischen Hochzinssektor dürften Ende 2020 mit rund 4% ihren Höhepunkt erreichen. Am US-Hochzinsmarkt (der stärker rohstoffabhängig ist) dürften sie auf einen Höchststand von rund 6,5% klettern, bevor sie 20212 wieder sinken. Das stellt eine historische Abkopplung der Ausfallraten von den Wirtschaftsdaten dar (in der Vergangenheit lagen sie in Rezessionen zwischen 10% und 12%), und wir haben in früheren Artikeln über die historisch einmalige politische Reaktion in dieser Krise geschrieben. Jede Krise hat ihre Besonderheiten. Die aktuelle unterscheidet sich von der großen Finanzkrise 2008/09, weil reichlich Liquidität für Unternehmen sowohl aus dem Investment-Grade- als auch dem Hochzinssegment zur Verfügung stand. Die Stützungsmaßnahmen haben den Unternehmen Zeit verschafft, die coronabedingten Probleme zu lösen. Verbraucher wurden ebenfalls dank Kurzarbeitsgeld vor starken Einkommensverlusten aufgrund von Arbeitslosigkeit bewahrt und in einigen Fällen, insbesondere in Teilen der USA, geht es ihnen besser als vor Beginn der Krise.

Kreditrisiko im historischen Kontext

Um die Auswirkungen der COVID-Krise beurteilen zu können, lohnt sich ein Blick auf die aggregierten Bilanzkennzahlen von Unternehmen. Unter dem Strich ist die Verschuldung von Unternehmen gestiegen, da sie mehr Fremdkapital aufgenommen haben (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Verschuldung von US-Unternehmen in % des Bruttoinlandsprodukts (BIP)

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Quelle: Gouverneursrat des Federal Reserve System. Q4 1951 bis Q1 2020. Hinweis: Inländische Sektoren, außer Finanzsektor.

Der Verschuldungsgrad von Unternehmen ist wie unten abgebildet deutlich gestiegen, was kaum überrascht. Die Auswirkungen waren bei der Bruttoverschuldung (die Rekordhöchststände markiert) deutlich stärker als bei der Nettoverschuldung, die einfach nur frühere zyklische Höchststände erreicht. Wir haben es also nicht wie immer wieder behauptet mit einer beispiellosen Situation zu tun. Im Wesentlichen haben Unternehmen ihre Kriegskasse mit Liquidität (die bisher nicht ausgegeben wurde) gefüllt, um für weitere Pandemiewellen gewappnet zu sein. Im Median ist die Zinsdeckung (gibt an, wie viel Mal der verfügbare Gewinn eines Unternehmens ausreicht, um die Zinszahlungen auf seine Schulden zu decken) zwar gesunken, aber mit 9,4 immer noch solide, was den rekordniedrigen Zinskosten zuzuschreiben ist, wie eine Untersuchung von Morgan Stanley belegt. (Stand: 30. Juni 2020).

Abbildung 2: Brutto- und Nettoverschuldung im US-Investment-Grade Sektor

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Quelle: Morgan Stanley Research, Bloomberg Finance LP, FTSE Fixed Income LLC, 31. März 1992 bis 30. Juni 2020.

Die Bruttoverschuldung gibt die Höhe der Verschuldung eines Unternehmens an. Sie wird gemessen als Gesamtverschuldung geteilt durch den Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation (EBITDA). Die Nettoverschuldung entspricht den verzinslichen Verbindlichkeiten abzüglich liquider Mittel) geteilt durch das EBITDA.

Abbildung 3: Median der Brutto- und Nettoverschuldung im US-Hochzinssektor

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Quelle: Morgan Stanley Research, Bloomberg, S&P Capital IQ, 30. Juni 2020 bis 30. Juni 2020.

Abbildung 4: Zinsdeckung im US-Hochzinssegement

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Quelle: Morgan Stanley Research, Bloomberg, S&P Capital IQ, 30. Juni 2020 bis 30. Juni 2020.

Vielleicht sollte erwähnt werden, dass Unternehmen die Auswirkungen der Krise besser gemeistert haben als erwartet. Sie haben ihre Kosten und Investitionsausgaben gesenkt, um ihre Rentabilität und Cashflows zu erhalten. Wie bereits erwähnt, haben sie zudem Liquiditätsreserven aufgebaut, um die Krise zu überstehen. Die Unternehmen im S&P 500 haben 2020 Anleihen im Wert von fast 1,2 Bio. USD ausgegeben, gegenüber 875 Mrd. USD im Jahr 2019, zudem haben sie 96 Mrd. USD Eigenkapital emittiert3. Die von der COVID-Krise betroffenen Sektoren wie Kreuzfahrtgesellschaften und Fluggesellschaften hatten weitgehend ungehindert Zugang zu den Kapitalmärkten, um sich zur Überwindung der Krise Liquidität zu beschaffen. Die IG-Emissionen am US-Markt beliefen sich in diesem Jahr bis 8. Oktober auf 1,57 Bio. USD4. Auch am Markt für Hochzinsanleihen gab es eine rege Emissionstätigkeit, wobei vorsorglich Kapital beschafft wurde.

Abbildung 5: Mittlere Liquidität im US-Hochzinssektor im Verhältnis zu den Schulden

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Quelle: Morgan Stanley Research, Bloomberg, S&P Capital IQ, 30. Juni 1998 bis 30. Juni 2020.

Steht eine Solvenzkrise bevor?

Die Erhöhung der Liquidität ist zweifellos notwendig, um zu überleben, aber der einzig nachhaltige Weg, um zu überleben, führt über den Schuldenabbau. Das stimmt zwar, aber die Möglichkeit, über Jahre ein „Zombie“ zu bleiben, sollte nicht unterschätzt werden. Interessanterweise stiegen die Ausfallraten zu Beginn des 2. Quartals 2020 zunächst steil an, sanken aber anschließend schnell wieder. Die Prognosen zu den Ausfallraten gehen seit den ersten, übertriebenen Top-down-Prognosen im März wieder zurück. JP Morgan ging sogar in seiner aktuellen Prognose so weit, dass es die Ausfallrate im US-Hochzinssegment 2020 nur noch bei 6,5% und 2021 bei moderaten 3,5% sieht (Abbildung 6).

Abbildung 6: Ausfallrate im US-Hochzinssegment und Prognose

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Abbildung 7: Ausfälle nach Sektoren seit Jahresbeginn (inkl. notleidender Börsen)

Quelle: JP Morgan US High Yield and Leveraged Loan Strategy, 5. Oktober 2020. LTM = letzte zwölf Monate (last twelve months). Prognosen sind Schätzungen, die sich im Laufe der Zeit verändern können und nicht garantiert sind.

Der steile Anstieg zu Beginn der Krise hat an den Kreditmärkten niemanden überrascht, da er auf das Konto von Unternehmen ging, die schon lange mit dem strukturellen Niedergang ihrer Branche zu kämpfen hatten und ihre Bilanzschulden nicht abbauen konnten. Das US-Telekommunikationsunternehmen Frontier konnte im März beispielsweise Schulden in Höhe von 16,7 Mrd. USD nicht bedienen, der Satellitenspezialist Intelsat geriet dagegen im April mit 14,4 Mrd. USD in Verzug.

Auch der Blick auf die von JP Morgan vorgelegte Zusammensetzung nach Sektoren bietet wenig Überraschung. Für uns als Portfoliomanager zählt bei Branchen ein einfaches Argument: Kann die Branche oder das Unternehmen die Verschuldung verkraften? Mit unserem Anlagestil verzichten wir auf eine Anlage in den Sektoren Energie, Metalle und Bergbau sowie Textileinzelhandel, deren strukturelle Probleme, hoher operativer Leverage und übermäßige Zyklizität hinlänglich bekannt sind5.

Abbildung 7: Ausfälle nach Sektoren seit Jahresbeginn (inkl. notleidender Börsen)

Abb.7-02011


Bevorstehender Entschuldungszyklus

Im Gegensatz zu dem Narrativ von einer Solvenzkrise, ist vernünftigerweise eine Phase umfassenden Bilanzschuldenabbaus zu erwarten. De facto geht die Verschuldung rechnerisch zurück, wenn sich die Gewinne erholen. Das wir in allen früheren Zyklen der Fall. Die Unternehmen befinden sich mittlerweile in der Sanierungs- und Erholungsphase des Kreditzyklus. Traditionell ist das eine Phase, in der es Anlegern in Unternehmensanleihen gut geht. Darüber hinaus könnten die Erfahrungen der COVID-Krise durchaus gewisse Spuren in der Psyche von Managern hinterlassen: eine gewisse Widerstandsfähigkeit ist ebenso wertvoll wie die Maximierung der Eigenkapitalrendite mithilfe von Fremdkapital. Das Basisszenario 2021 für Anleger an den Unternehmensanleihemärkten sieht wie folgt aus: Das höhere Kreditrisiko wird 2021-22 teilweise wieder sinken, sofern die Nachrichten über COVID und Impfstoffe planmäßig verlaufen.

1Makrotourist ist ein Investor oder Kommentator, der seine Komfortzone verlässt, um mit großen Worten zu erklären, wie die Wirtschaft funktioniert. Ein „Bär“ symbolisiert die Pessimisten oder eine negative Markteinschätzung, ein „Bulle“ dagegen die Optimisten oder eine positive Einschätzung.

2Quelle: JP Morgan, US High Yield and Leveraged Loan Strategy, 5. Oktober 2020.

3Quelle: JP Morgan US Equity Strategy and Global Quantitative Research, Bloomberg, 11. September 2020.

4Quelle: Bloomberg, 8. Oktober 2020.

5Quelle: Janus Henderson, entsprechend dem Stand vom 30. September 2020 für die vom Strategic Fixed Income Team verwalteten Portfolios. Bitte beachten Sie, dass sich die Portfoliotitel im Laufe der Zeit ändern können.

Glossar

Ausfall: Versäumnis eines Emittenten, seinen Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber den Anleihegläubigern nachzukommen.
Bruttoinlandsprodukt (BIP): Kennzahl für die gesamtwirtschaftliche Aktivität.
Hochzinsanleihe: Eine Anleihe, die ein niedrigeres Kreditrating als eine Investment-Grade-Anleihe hat. Auch als Sub-Investment-Grade-Anleihe bezeichnet. Diese Anleihen haben ein höheres Zahlungsausfallrisiko und werden daher in der Regel mit einer höheren Rendite begeben, der das zusätzliche Risiko kompensiert.
Investment-Grade-Anleihe: Eine Anleihe, die in der Regel von Regierungen oder Unternehmen mit relativ geringem Zahlungsausfallrisiko begeben wird. Die höhere Bonität dieser Anleihen spiegelt sich in den höheren Kreditratings im Vergleich zu Anleihen wider, denen ein höheres Ausfallrisiko zugeschrieben wird, wie z.B. High-Yield-Anleihen.
Verschuldungsgrad/Leverage: Verschuldungsgrad eines Unternehmens; entschulden bedeutet, Schulden abbauen.
Liquidität: Leichtigkeit, mit der Unternehmen Vermögenswerte in Bargeld umwandeln können, um finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen, und die Flüssigkeit der Kapitalmärkte. Als liquide gelten Assets, die am Markt problemlos gehandelt werden können (ohne eine größere Kursbewegung auszulösen).
Solvenz: Sie gibt Auskunft über die Finanzlage eines Unternehmens. Ein Unternehmen ist solvent, wenn es seine Geschäfte betreiben und seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann.
Rendite: Ertrag aus einem Wertpapier, üblicherweise in Prozent angegeben.

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