Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
21.10.2022 | 14:00 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche standen bei den Volkswirten und Kapitalmarktexperten die Chancen der verschiedenen Anlageklassen und der Start der Berichtssaison im Fokus ihrer Analysen.
So analysiert Ulrike Kastens,
Volkswirtin Europa DWS, die nächsten Schritte der Notenbanken:
„Ähnlich
wie die US-Notenbank dürfte auch die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer
Sitzung am 27. Oktober 2022 erneut einen großen Zinsschritt von 75 Basispunkten
machen. Damit läge der Einlagensatz dann bei 1,50 Prozent und auf dem höchsten
Stand seit Januar 2009. Vor allem Sorgen um die hohen Inflationsraten, die uns
auch 2023 begleiten werden, und die Gefahr, dass sich die Inflationserwartungen
entankern könnten, dürften die EZB zu diesem beherzten Schritt veranlassen. Wir
rechnen in den kommenden Monaten mit weiteren Zinsschritten, so dass der
Einlagenzins über den geschätzten neutralen Zins von etwa zwei Prozent steigen
dürfte. Der Markt preist derzeit einen Zins in Höhe von drei Prozent ab Sommer
2023 ein.
Damit stellt sich zunehmend die Frage, wie die EZB in den kommenden Monaten
mit ihrer Bilanz umgehen will, die mittlerweile auf fast neun Billionen Euro
angeschwollen ist. Dabei sind zwei Themen voneinander zu unterscheiden. Auf der
einen Seite steht das Anleiheportfolio, dessen Höhe durch die andauernden
Reinvestitionen immer noch konstant gehalten wird. Eine Entscheidung darüber
dürfte - trotz Druck von einigen Zentralbanken - allerdings auf dem
Oktober-Treffen noch nicht anstehen, sicherlich auch vor dem Hintergrund der
Volatilität am Rentenmarkt. Im Mittelpunkt der Oktober-Sitzung dürften dagegen
die Einlagen der Banken bei der EZB stehen. Mittelweile werden rund 4700
Milliarden Euro in der Einlagenfazilität geparkt und verzinst, was den Banken
Zinserträge in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro beschert. Wir rechnen damit,
dass die EZB dies durch weniger großzügige Konditionen bei Langfristtendern
einschränken könnte, was mittelfristig zu schnelleren Rückzahlungen bei diesen
Tendern führen könnte. Alles in allem bleibt der Fokus der Geldpolitik aber bei
der Anhebung des Leitzinses als dem wichtigsten Steuerungsinstrument für die
Ausrichtung der Geldpolitik. Ein Ende der Reinvestitionen dürfte dagegen in
2023 eher vorsichtig erfolgen."
Die Einschätzung
zum Joachim Fels, Chefökonom des Vermögensverwalters PIMCO. Der PIMCO-Experte
führt die zentralen Erkenntnisse des jüngsten Jahrestreffen des Internationalen
Währungsfonds (IWF):
„Vor dem düsteren makroökonomischen
Hintergrund einer drohenden Rezession, einer hartnäckigen Inflation und einer
aggressiven Straffung durch die Zentralbanken waren die Teilnehmer in Bezug auf
Risiko-Assets weitgehend pessimistisch eingestellt. Auf dem J.P. Morgan
Investor Seminar sagte der CEO der Bank, Jamie Dimon, zu den Zuhörern: „Sie sind noch nicht in Panik geraten. Aber das werden Sie noch." Es
überrascht nicht, dass Gespräche über potenzielle Bruchstellen an den Märkten
allgegenwärtig waren. Es gab jedoch keinen eindeutigen Konsens darüber, wo dies
am ehesten der Fall sein würde. Auch die auftretenden Liability-Driven-Investment-Probleme
in Großbritannien hatten die meisten Beobachter überrascht.
Peak fear? Auch wenn ich viele dieser Bedenken teile, bin ich nach den
Sitzungen zu der Überzeugung gelangt, dass der Konsens nun insgesamt zu
pessimistisch geworden ist und dass wir aus drei Gründen den Höhepunkt der
Angst an den Märkten, „Peak Fear“ erreicht haben oder zumindest kurz davor
stehen.
Es besteht eine gute Chance, dass die
Arbeitsmärkte in den USA und Europa relativ stabil bleiben. Ein Großteil der
Arbeitsmarktanpassung in den USA könnte eher durch eine Anpassung der immer
noch ungewöhnlich hohen offenen Stellen als durch einen Anstieg der
Arbeitslosigkeit erfolgen, zumal die Unternehmen möglicherweise Arbeitskräfte
horten, nachdem sie während der COVID-Erholung im letzten Jahr Schwierigkeiten
hatten, offene Stellen zu besetzen. In Europa dürften ähnliche Überlegungen der
Unternehmen zusammen mit staatlich finanzierten Programmen zur Erhaltung von
Arbeitsplätzen einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern.
Die Lektionen in Großbritannien und Midterms in den USA. Es herrscht inzwischen
weithin Konsens darüber, dass die Zentralbanken die Hilfe der Finanzpolitik
benötigen, um die Inflation nachhaltig zu senken. Diese Hilfe könnte nun in
Aussicht gestellt werden. Ein Grund dafür ist, dass die US-Zwischenwahlen im
November wahrscheinlich zu einem gespaltenen Kongress führen werden, was einen
Stillstand und keine weiteren fiskalischen Lockerungen in den nächsten Jahren
bedeuten würde. Ein weiterer Grund ist die Lehre, die viele Regierungen aus der
Reaktion der Anleihen- und Devisenmärkte auf die von der britischen Regierung
angekündigten umfangreichen ungedeckten fiskalischen Anreize ziehen dürften.
Die Vorhaben wurden nun aufgrund des Drucks der Märkte weitgehend rückgängig
gemacht. Eine fiskalisch bedingte Inflation scheint nun weniger wahrscheinlich,
was den Zentralbanken helfen dürfte, ihre Aufgabe zu erfüllen und die
längerfristigen Inflationserwartungen auf einem festen Niveau verankern.
Nicht zuletzt könnten die Zinsmärkte nach dem
drastischen Ausverkauf im Laufe dieses Jahres und den wilden Turbulenzen als
Reaktion auf die britischen Haushaltsankündigungen in eine ruhigere Phase
eintreten. Die Märkte preisen bereits erhebliche weitere Zinserhöhungen durch
die großen Zentralbanken ein. Die absoluten Renditeniveaus erscheinen so
attraktiv wie schon lange nicht mehr, einschließlich der realen Rendite von
inflationsgeschützten US-Schatzpapieren (TIPS). Wenn sich die Anleiherenditen
auf diesen höheren Niveaus stabilisieren, anstatt weiter zu steigen, könnte
dies auch dazu beitragen, dass Risikoanlagen wie Aktien einen Teil der
bisherigen Jahresverluste aufholen und hochwertige Segmente der Kreditmärkte
wieder attraktiver werden."
Bei
allen bestehenden Risiken für die Märkte ist an manchen Stellen die Rendite
unseres Erachtens bereits so attraktiv geworden, dass sich erste antizyklische
Zukäufe mittelfristig auszahlen sollten, meint Bernhard Grünäugl, Leiter
Investment Strategy und ESG bei BayernInvest:
„Neben den politischen und
zentralbankseitigen Entscheidungen wird die Berichtssaison die Kapitalmärkte
bewegen. Vor Zuversicht strotzende Unternehmen, die den Aktienanalysten keinen
Anlass geben, ihre Gewinnschätzungen für 2023 zu senken, dürften rarer werden.
Speziell außerhalb des die Gewinntabellen dominierenden Energiesektors. Die
Norm wird wohl sein, dass von verschlechterten Geschäftsaussichten berichtet
wird. Jüngste warnende Beispiele à la FedEx, Nike oder Elektrolux lassen für
zyklische oder von der Konsumneigung abhängige Unternehmen wenig Positives
erwarten. Die hohen Inflationsraten und der schmaler werdende Geldbeutel
dürften in den kommenden Quartalen Spuren hinterlassen. Gleichzeitig sind
insbesondere in Europa die Signale der Unternehmen in Hinblick auf
Energiekosten wohl ein Hauptpunkt, auf den die Analysten im Rahmen der
Bilanzvorstellungen Wert legen dürften. Das Damoklesschwert drohender
Gasrationierungsmaßnahmen in Deutschland mag aufgrund der Gasspeicherstände,
zuverlässiger Importquellen – ausbleibenden Infrastruktur-Terrorismus
vorausgesetzt – und den erwarteten milden Wintertemperaturen an Schärfe
verloren haben. Dennoch dürften die hohen Energiekosten massiv auf den
Ergebnissen lasten.
Auch wenn in den
vergangenen Wochen die Gewinnerwartungen mit Ausnahme der US-Indizes deutlich
nach unten korrigiert wurden, so besteht für die Gewinnaussichten 2023
weiterhin Abwärtspotenzial. Abgeleitet aus der makroökonomischen Erwartung
einer deutlich ausfallenden Rezession dürften die Unternehmensgewinne in 2023
eher um rund 10 Prozent fallen als moderat zuzulegen. Ohne die geldpolitische
Unterstützung in Form nachgebender Renditen und damit der Basis für sich
ausweitende Multiples dürften es die Aktienmärkte damit auch schwer haben, in
den kommenden Wochen eine nachhaltige Trendwende einzuläuten.
Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers wirft
einen Blick auf die kommende Berichtssaison:
„Das
Spannungsfeld zwischen günstigen (und immer günstiger werdenden) Bewertungen
und unsicheren Fundamentaldaten wird sich nicht bald auflösen. Gerade wenn ein
Portfolio in diesem Jahr bereits erheblichen Schaden genommen hat und die
Volatilität hoch bleibt, ist das Investieren von Barmitteln auf Grundlage einer
langfristigen Perspektive eine Herausforderung. Weitere finanzielle
Stresssituationen sind wahrscheinlich – wenn es im normalerweise recht
behäbigen britischen Pensionssektor passieren kann, kann es überall passieren. Kurzfristige
festverzinsliche Wertpapiere scheinen vorerst einer der wenigen sicheren Orte
zu sein.
Die derzeitige
Berichtssaison für Aktien dürfte aufschlussreich sein. Das Kursgeschehen auf
Marktebene – in allen Regionen – und auf Einzeltitelebene scheint bereits einen
Großteil dessen, was eine Gewinnrezession ausmachen sollte, eingepreist zu
haben. Unser britisches Aktienteam kennt viele Beispiele und angesichts dessen,
was mit dem britischen Pfund passiert ist, bleibt der britische Markt in
absoluten Zahlen und im Vergleich zu globalen Aktien günstig.
Ein Trost ist,
dass der Anstieg der Realrenditen übertrieben zu sein scheint. Im Vergleich zum
langfristigen Trend ist der Anstieg der zehnjährigen US-Realrendite – gemessen
am Markt für inflationsgeschützte Staatsanleihen – jetzt noch extremer
als während der globalen Finanzkrise. Die aktuelle reale Rendite von 1,6
Prozent liegt weit über früheren Schätzungen des realen langfristigen
Gleichgewichtszinssatzes. Wenn sich die reale Rendite stabilisiert oder sinkt,
wäre dies ein sehr gutes Zeichen für alle Märkte – der Rückgang der
Aktien-Multiples würde aufhören, Wachstumsaktien würden besser aussehen als
Value-Titel und die Anleiherenditen würden sich stabilisieren. Die realen
langfristigen Renditen werden wohl nicht wieder tief in den negativen Bereich
abtauchen – die Zentralbanken sind heute weniger wichtige Staatsanleihekäufer,
da sie sich aus den Quantitativen Lockerungen zurückziehen und sich das globale
Reservewachstum verlangsamt hat –, aber sie sollten nicht weiter steigen.
Die
vielfältigen Kräfte, die das derzeitige Niveau der Marktvolatilität
verursachen, können von Analysten weder verstanden noch erklärt und schon gar
nicht vorhergesagt werden. Die Schocks der vergangenen Jahre für die
Weltwirtschaft sind tiefgreifend – Covid-19, der Energieschock und der Übergang
zu einem neuen Zinsregime. Ein bestimmtes Datum, an dem die Faktoren aufhören
werden, die Wirtschaft und die Märkte zu beeinflussen, gibt es nicht. Aber die
Amplitude der Schockwellen sollte abnehmen und eine gute Bewertung an den
Märkten sollte uns wieder positive Anlagerenditen bescheren."
Jean Boivin (Head, BII), Wei Li (Global
Chief Investment Strategist, BII), Alex Brazier (Deputy
Head, BII) und Scott Thiel (Chief Fixed Income
Strategist) von BlackRock äußern sich zu
folgenden Punkten:
· Wir sind in Staatsanleihen untergewichtet,
weil die Renditen noch Spielraum nach oben haben und wir nicht glauben, dass
Staatsanleihen im Falle einer Rezession ein sicherer Hafen sein können.
· Die Aktienmärkte waren unruhig und die
Renditen kurzfristiger US-Staatsanleihen stiegen sprunghaft an, nachdem die
Daten eine anhaltende Kerninflation in den USA zeigten. Wir halten dies für
eine schlechte Nachricht für Risikoanlagen.
· Die Konjunkturdaten aus China werden
Aufschluss darüber geben, wie sich die Wirtschaft angesichts der
Covid-Beschränkungen schlägt. Die Inflationsdaten aus dem Vereinigten
Königreich werden wahrscheinlich die Erwartungen auf weitere Zinserhöhungen
verstärken.
Dr. Martin Lück,
Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und
Osteuropa bei BlackRock, vertritt folgende Ansichten:
· Es gibt mehrere Gründe anzunehmen, dass die
EZB ihren Leitzins weniger stark anheben wird als die Fed, bzw. dass sie früher
und bei einem niedrigeren Niveau von restriktiv auf neutral umschaltet.
· Der erste Grund liegt in der Tatsache, dass
das neutrale Zinsniveau, also jenes, bei dem die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage weder stimuliert noch gebremst wird, in Europa etwas niedriger liegen
dürfte als in den USA. Infolge der zurzeit an allen Fronten hohen Unsicherheit
ist die Schätzung dieses neutralen Zinses extrem unsicher, wir können aber
davon ausgehen, dass er in den USA zwischen einem halben und einem Prozentpunkt
höher liegt als in Europa.
· Zweitens könnte die Rezession in Europa tiefer
ausfallen als in den USA. Der EZB bliebe dann weniger zu tun als der Fed, auch
ohne harte monetäre Bremsung würde die Nachfrage sich dem verknappten Angebot
anpassen. An der Erwartung, dass es bezüglich der volkswirtschaftlichen
Nachrichten erst schlechter werden muss, bevor es besser wird, können wir daher
festhalten.
Für Laurent
Denize, Global CIO von ODDO BHF sind trotz der jüngsten Tiefstände des STOXX
600 seit der Covid-Krise noch keine geeigneten Einstiegspunkte erreicht, um
sich wieder deutlicher in europäischen Aktien zu engagieren:
Für die Performance einer Anlage mache
es über einen Zeitraum von 30 Jahren betrachtet nahezu keinen Unterschied, ob
das Kurs-Gewinn-Verhältnis beim Einstieg oberhalb oder unterhalb des
historischen Bewertungsdurchschnitts des STOXX 600 mit einem
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 14 liege. „Die Bewertungen sind allerdings
dann von Bedeutung, wenn extreme Niveaus erreicht wurden. Kauft man den STOXX
600 bei einem KGV von unter 10, besteht eine historische Wahrscheinlichkeit von
82 Prozent, in den kommenden 12 Monaten eine positive Performance zu erzielen, und die
sich durchschnittlich auf 18 Prozent beläuft“, schreibt Denize. Um diesen attraktiven
Einstiegspunkt zu erreichen, müsste der STOXX 600 noch um mindestens 5 Prozent, also
unter die Marke von 360 Punkten, fallen.
„Auch wenn das Risiko einer Rezession steigt, stellen europäische
Unternehmensanleihen kurzfristig eine interessante Alternative zu Aktien dar“,
so Denize. Auch im Vergleich zu europäischen Staatsanleihen sei das Segment
attraktiv und die Zinsen böten beträchtliche Renditeaufschläge gegenüber
Staatsanleihen mit gleicher Duration. Innerhalb des Anleihesegments bieten Hochzinsanleihen
ein Renditeprofil, das langfristig an das von Aktien heranreicht. Im
Hochzinsuniversum der Eurozone dominieren Anleihen mit der höchsten Bonität und
einem Rating von BB. Mit einer Rendite auf Verfall (YTM) von 6,6 Prozent liegen sie
480 Basispunkte über der Rendite dreijähriger deutscher Bundesanleihen. Zum
Vergleich: Die Risikoprämie für Aktien liegt bei 7,4 Prozent. Denize: „Anleihen bieten
erstmals seit vielen Jahren wieder einige Vorzüge.“
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